Henning Sembritzki ist Schauspieler am Stadttheater Heilbronn
Vom Choleriker zum sanften Vater
Von Jürgen Dieter Ueckert
IM
HERBST wird Henning Sembritzki Vater werden. Seine Lebensgefährtin
Manu, mit der er vor wenigen Wochen eine gemeinsame Wohnung in Heilbronn
bezogen hat, lernte er erst "hier im Schwäbischen" kennen. "Geplant war
das Kind nicht, aber ich fühle mich bereit dazu", sagt der 31-Jährige,
"und ich freue mich sehr darauf, Vater zu werden." Ob es ein Junge oder
ein Mädchen wird, das sei ihm gleich, antwortet der strahlende Papa in
spe lachend - und zieht genüsslich an seiner Zigarette.
HEILBRONN
ist dem gebürtigen Bochumer vor seinem Engagement am Stadttheater kaum
ein Begriff gewesen. Er wusste, dass in und rund um die Stadt Wein
angebaut wird. Sein erster Eindruck: "Ich kam mit dem Auto, es war ein
Sonnentag, ich sah Boote auf dem Neckar, die Weinberge, die schöne
Landschaft - und war froh, hier zu sein." Sein zweiter Eindruck: die
Innenstadt. "Und das war dann eher abstoßend, obwohl ich aus dem
Ruhrgebiet ja einiges gewohnt bin."
WIDDER ist das
Sternbild, unter dem er am 5. April 1975 das Licht der Welt erblickte.
"Ein Feuerzeichen, temperamentvoll, vermischt sich bei mir etwas mit dem
Krebs", sinniert er vor sich hin. Aber bei der Partnerwahl hat er nie
an Sternzeichen geglaubt: "Da vertraue ich eher meiner Intuition." Das
Sternzeichen seiner Lebensgefährtin Manu: Löwe. Der bedächtig
formulierende, eher sanft und ruhig wirkende Henning Sembritzki kann
jedoch - ganz seinem Sternzeichen entsprechend - zornig und aufbrausend
werden. Trotzig wie jene Fußballfans, die "Bochum ich komm aus Dir", das
Herbert-Grönemeyer-Lied im Stadion anstimmen, wenn es darum geht, den
Gegner einzuschüchtern.
EIN WILDES KIND sei er gewesen,
der Sohn eines Realschul-Rektors und einer Sozialpädagogin. "Ich war
sehr anstrengend, sehr cholerisch, war viel draußen in der Natur, bin
auf Bäumen herumgeklettert", erinnert er sich. "Es kam vor, dass meine
arme Mutter, vollbepackt mit Tüten nach dem Einkauf, Mühe hatte, ihren
Sohn Henning, der sich vor Zorn auf die Straße geworfen hatte, wieder
zum Aufstehen zu bewegen." In der Pubertät habe sich das gelegt, als die
Mädchen riefen "Henning, der Choleriker". Aber er habe verständnisvolle
Eltern und Lehrer in der Waldorfschule gehabt. Was erregte seinen Zorn?
"Ungerechtigkeit vor allem - aber ansonsten war ich ein sozialer Mensch
und ein guter Junge", betont er lächelnd, "nur beim Fußball da ging die
Auseinandersetzung bis hin zur Prügelei."
VIER
GESCHWISTER hat Henning Sembritzki, zu denen er bis heute ein gutes
Verhältnis hat. Die jüngste Schwester tritt als Schauspielerin in seine
Fußstapfen. Alle, der Bruder und seine drei Schwestern, die Mutter und
der Vater, kommen oft zu seinen Premieren nach Heilbronn angereist. Ohne
Fernseher sind die Sembritzki-Kinder aufgewachsen, es wurde viel Musik
gemacht. Ein frommer Christ ist der evangelisch getaufte Henning nicht,
aber ein gläubiger Mensch: "Ich habe mich mit den verschiedenen
Religionen beschäftigt und bin dabei auf Jahrtausende alte Wahrheiten
und Weisheiten gestoßen - und suche immer weiter." Wenn er nach
stundenlangem Surfen erschöpft von seinem Brett an der französischen
Atlantik-Küste steigt, "dann habe ich oft ein Gefühl für die großartige
Schöpfung".
NACH ABITUR (1995) und Zivildienst
(1996/97), den er als Studienhelfer für körperbehinderte Studierende in
Bochum verbracht hatte, war ihm klar: "Die Uni ist nichts für mich."
Obwohl sein Vater es gerne gesehen hätte, wenn er studiert hätte. In die
Theaterszene rutschte er einfach so hinein. Genaue Vorstellungen,
welche Richtung er einschlagen sollte, hatte er allerdings nicht.
Zunächst einmal assistierte er bei einer freien Regisseurin, die mit
einer "schwierigen Schulklasse" Goldonis "Diener zweier Herren" an der
Schule seines Vaters erarbeitete. Dann spielte er die Hauptrolle in
einer freien Theatertruppe, die Tankred Dorsts "Merlin" aufführte.
Später arbeitete er in der Requisite des Bochumer Schauspielhauses.
Danach: Regieassistent an einem Theaterprojekt mit Junkies in Wiesbaden.
AUSTOBEN
in der Natur, immer mit einem Messer im Bett einschlafen, wie ein
Indianer - das sind seine Erinnerungen an die ersten zehn Lebensjahre.
Die Erinnerungen an das zweite Lebensjahrzehnt: Der Schock durch den Tod
des geliebten Großvaters - und die erste Liebe. Eine amerikanische
Austauschschülerin, die in Deutschland blieb - und mit der er die Welt
bereiste: USA und Südafrika. "Im Alter von 24 begann ich dann meine
Ausbildung an der Folkwang-Schule in Essen - war auch letzte Eisenbahn."
Regie oder Schauspiel war die Frage. Nach kurzer Zeit hatte er sich
entschieden, und es nicht bereut. Bis heute fasziniert ihn die Antike -
vor allem die Tragödie. Mit einem Antikenprojekt am Düsseldorfer
Schauspielhaus unter Leitung des Regisseurs Theodoros Terzopolos ging es
sogar nach Griechenland - an die Geburtsstätte des europäischen Dramas.
Im Zentrum dabei stand: Animalisches, Tänzerisches - die Körpersprache.
HEILBRONN
ist für Henning Sembritzki das erste Engagement. Und er fühlt sich wohl
im Ensemble des Stadttheaters: "Das ist ein gutes Haus für junge
Menschen, die sich in verschiedenen kleinen und großen Rollen
ausprobieren können." Viel Freude hat ihm die Auseinandersetzung mit der
Rolle des Spiegelberg in Schillers "Räuber" bereitet. Aber auch den
Hahn im Weihnachtsmärchen "Bremer Stadtmusikanten" zu spielen, war ihm
ein Vergnügen: "700 Kinder in Begeisterung zu versetzen - vielleicht
auch ein wenig zu steuern, das begeistert." Oder in Garcia Lorcas
"Bluthochzeit", in der er den Leonardo spielt, bei lyrischen Stellen die
Atmosphäre so zu gestalten, dass dieser Moment ein Erlebnis für
Schauspieler und Publikum wird, "das ist grandios - da spielt der
Schauspieler nicht gegen oder für, sondern mit dem Publikum".
MUSIK
ist ein wesentliches Element von Theater. Für Henning Sembritzki, der
verschiedene Instrumente spielt und auch singt, ist es schön, dass er
seinem Hobby Musik in Heilbronn auch auf der Bühne frönen kann. Was er
sich für die Zukunft wünscht? Bei der Geburt seines Kindes will er dabei
sein ("Ich hoffe, ich halte es durch"). Schöne Rollen zu spielen - "vor
allem William Shakespeare, den ich bisher noch nicht auf der Bühne
gespielt, sondern nur für mich gearbeitet hatte". Und dass ihr
Stadttheater den Menschen der Region "Mut macht, Fragen stellt,
Phantasie frei setzt und Lust auf Leben macht."
echo am Sonntag
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