Samstag, 29. März 2014

Stadttheater Heilbronn - Portraits - Henning Sembritzky, Schauspieler (2006)

Henning Sembritzki ist Schauspieler am Stadttheater Heilbronn

Vom Choleriker zum sanften Vater

Von Jürgen Dieter Ueckert

IM HERBST wird Henning Sembritzki Vater werden. Seine Lebensgefährtin Manu, mit der er vor wenigen Wochen eine gemeinsame Wohnung in Heilbronn bezogen hat, lernte er erst "hier im Schwäbischen" kennen. "Geplant war das Kind nicht, aber ich fühle mich bereit dazu", sagt der 31-Jährige, "und ich freue mich sehr darauf, Vater zu werden." Ob es ein Junge oder ein Mädchen wird, das sei ihm gleich, antwortet der strahlende Papa in spe lachend - und zieht genüsslich an seiner Zigarette.

HEILBRONN ist dem gebürtigen Bochumer vor seinem Engagement am Stadttheater kaum ein Begriff gewesen. Er wusste, dass in und rund um die Stadt Wein angebaut wird. Sein erster Eindruck: "Ich kam mit dem Auto, es war ein Sonnentag, ich sah Boote auf dem Neckar, die Weinberge, die schöne Landschaft - und war froh, hier zu sein." Sein zweiter Eindruck: die Innenstadt. "Und das war dann eher abstoßend, obwohl ich aus dem Ruhrgebiet ja einiges gewohnt bin."

WIDDER ist das Sternbild, unter dem er am 5. April 1975 das Licht der Welt erblickte. "Ein Feuerzeichen, temperamentvoll, vermischt sich bei mir etwas mit dem Krebs", sinniert er vor sich hin. Aber bei der Partnerwahl hat er nie an Sternzeichen geglaubt: "Da vertraue ich eher meiner Intuition." Das Sternzeichen seiner Lebensgefährtin Manu: Löwe. Der bedächtig formulierende, eher sanft und ruhig wirkende Henning Sembritzki kann jedoch - ganz seinem Sternzeichen entsprechend - zornig und aufbrausend werden. Trotzig wie jene Fußballfans, die "Bochum ich komm aus Dir", das Herbert-Grönemeyer-Lied im Stadion anstimmen, wenn es darum geht, den Gegner einzuschüchtern.

EIN WILDES KIND sei er gewesen, der Sohn eines Realschul-Rektors und einer Sozialpädagogin. "Ich war sehr anstrengend, sehr cholerisch, war viel draußen in der Natur, bin auf Bäumen herumgeklettert", erinnert er sich. "Es kam vor, dass meine arme Mutter, vollbepackt mit Tüten nach dem Einkauf, Mühe hatte, ihren Sohn Henning, der sich vor Zorn auf die Straße geworfen hatte, wieder zum Aufstehen zu bewegen." In der Pubertät habe sich das gelegt, als die Mädchen riefen "Henning, der Choleriker". Aber er habe verständnisvolle Eltern und Lehrer in der Waldorfschule gehabt. Was erregte seinen Zorn? "Ungerechtigkeit vor allem - aber ansonsten war ich ein sozialer Mensch und ein guter Junge", betont er lächelnd, "nur beim Fußball da ging die Auseinandersetzung bis hin zur Prügelei."

VIER GESCHWISTER hat Henning Sembritzki, zu denen er bis heute ein gutes Verhältnis hat. Die jüngste Schwester tritt als Schauspielerin in seine Fußstapfen. Alle, der Bruder und seine drei Schwestern, die Mutter und der Vater, kommen oft zu seinen Premieren nach Heilbronn angereist. Ohne Fernseher sind die Sembritzki-Kinder aufgewachsen, es wurde viel Musik gemacht. Ein frommer Christ ist der evangelisch getaufte Henning nicht, aber ein gläubiger Mensch: "Ich habe mich mit den verschiedenen Religionen beschäftigt und bin dabei auf Jahrtausende alte Wahrheiten und Weisheiten gestoßen - und suche immer weiter." Wenn er nach stundenlangem Surfen erschöpft von seinem Brett an der französischen Atlantik-Küste steigt, "dann habe ich oft ein Gefühl für die großartige Schöpfung".

NACH ABITUR (1995) und Zivildienst (1996/97), den er als Studienhelfer für körperbehinderte Studierende in Bochum verbracht hatte, war ihm klar: "Die Uni ist nichts für mich." Obwohl sein Vater es gerne gesehen hätte, wenn er studiert hätte. In die Theaterszene rutschte er einfach so hinein. Genaue Vorstellungen, welche Richtung er einschlagen sollte, hatte er allerdings nicht. Zunächst einmal assistierte er bei einer freien Regisseurin, die mit einer "schwierigen Schulklasse" Goldonis "Diener zweier Herren" an der Schule seines Vaters erarbeitete. Dann spielte er die Hauptrolle in einer freien Theatertruppe, die Tankred Dorsts "Merlin" aufführte. Später arbeitete er in der Requisite des Bochumer Schauspielhauses. Danach: Regieassistent an einem Theaterprojekt mit Junkies in Wiesbaden.

AUSTOBEN in der Natur, immer mit einem Messer im Bett einschlafen, wie ein Indianer - das sind seine Erinnerungen an die ersten zehn Lebensjahre. Die Erinnerungen an das zweite Lebensjahrzehnt: Der Schock durch den Tod des geliebten Großvaters - und die erste Liebe. Eine amerikanische Austauschschülerin, die in Deutschland blieb - und mit der er die Welt bereiste: USA und Südafrika. "Im Alter von 24 begann ich dann meine Ausbildung an der Folkwang-Schule in Essen - war auch letzte Eisenbahn." Regie oder Schauspiel war die Frage. Nach kurzer Zeit hatte er sich entschieden, und es nicht bereut. Bis heute fasziniert ihn die Antike - vor allem die Tragödie. Mit einem Antikenprojekt am Düsseldorfer Schauspielhaus unter Leitung des Regisseurs Theodoros Terzopolos ging es sogar nach Griechenland - an die Geburtsstätte des europäischen Dramas. Im Zentrum dabei stand: Animalisches, Tänzerisches - die Körpersprache.

HEILBRONN ist für Henning Sembritzki das erste Engagement. Und er fühlt sich wohl im Ensemble des Stadttheaters: "Das ist ein gutes Haus für junge Menschen, die sich in verschiedenen kleinen und großen Rollen ausprobieren können." Viel Freude hat ihm die Auseinandersetzung mit der Rolle des Spiegelberg in Schillers "Räuber" bereitet. Aber auch den Hahn im Weihnachtsmärchen "Bremer Stadtmusikanten" zu spielen, war ihm ein Vergnügen: "700 Kinder in Begeisterung zu versetzen - vielleicht auch ein wenig zu steuern, das begeistert." Oder in Garcia Lorcas "Bluthochzeit", in der er den Leonardo spielt, bei lyrischen Stellen die Atmosphäre so zu gestalten, dass dieser Moment ein Erlebnis für Schauspieler und Publikum wird, "das ist grandios - da spielt der Schauspieler nicht gegen oder für, sondern mit dem Publikum".

MUSIK ist ein wesentliches Element von Theater. Für Henning Sembritzki, der verschiedene Instrumente spielt und auch singt, ist es schön, dass er seinem Hobby Musik in Heilbronn auch auf der Bühne frönen kann. Was er sich für die Zukunft wünscht? Bei der Geburt seines Kindes will er dabei sein ("Ich hoffe, ich halte es durch"). Schöne Rollen zu spielen - "vor allem William Shakespeare, den ich bisher noch nicht auf der Bühne gespielt, sondern nur für mich gearbeitet hatte". Und dass ihr Stadttheater den Menschen der Region "Mut macht, Fragen stellt, Phantasie frei setzt und Lust auf Leben macht."

echo am Sonntag

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