Mittwoch, 19. Februar 2014

Stadttheater Heilbronn - Portraits - Walter Bison ist tot - Theater-Intendant a. D. (1985)

Am 14. April 1985 starb Heilbronns Theater-Intendant Walter Bison
Kantiger und hartnäckiger Mensch 
mit Standvermögen

Von Jürgen Dieter Ueckert

Die 26jährige Amtszeit des Intendanten Walter Bison am Heilbronner Theater war in der Spielzeit 1979/80 zu Ende gegangen. Der Intendantenwechsel von Bison zu Klaus Wagner wurde im August 1980 vollzogen – nicht gerade formvollendet. Am 14. April 1985, knapp fünf Jahre nach dem Amtswechsel, starb Walter Bison. Mit ihm verließ ein Mann die „Stadt der Krämerseelen“, der nahezu drei Jahrzehnte Theater-Leben und -Geschehen mitgeprägt und mitentscheiden hatte.

Die Stadt des Kleistschen Käthchens verliert einen Theater-Intendanten, vom dem immer im Zusammenhang mit dem Wörtchen „Provisorium“ gesprochen wurde. Walter Bison, ein Intendant eines Theaterzustandes, den niemand wollte, aber den die Stadtväter, -mütter und -bürger ertragen und geduldet hatten. Das Heilbronner Theater – ein Institut, so der neue Intendant Klaus Wagner, das in der Provisoriums-Zeit nur nötig gehabt habe, „zu funktionieren, um geduldet zu sein“.

„Der talentvolle junge Lübecker“ – so hatte einst das Wochenmagazin Der Spiegel in seiner Nummer 35 des ersten Jahrgangs anno 1947 lobend über Walter Bison in einer Theaterkritik geschrieben. In jenem Jahr zählte der am 25. Juli 1913 in Düsseldorf geborene Walter Bison allerdings schon 34 Jahre.

In Lübeck war der Sohn eines Oberingenieurs ausgewachsen. 1932 hatte er dort sein Abitur bestanden, absolvierte danach eine dreijährige Lehre als Kaufmann, nahm nebenher noch Schauspielunterricht und hatte im Frühjahr 1935 sowohl die kaufmännische als auch die Schauspieler-Abschlussprüfung bestanden. Eine Verknüpfung von Geschäft und Kunst, die vor allem wieder in der Heilbronner Zeit von Bison mit Liebe gepflegt werden sollte.

Das erste Engagement als Schauspieler führte ihn ans Grenzlandtheater Flensburg. Über Stralsund und Görlitz kam er 1937 ans Staatstheater in Danzig. Ab 1940 kämpfte er als Soldat im Zeiten Weltkrieg. Im Herbst 1945 konnte er wieder in seine Heimat zurückkehren. Auf den Brettern des Stadttheaters Lübeck spielte Bison ab Oktober 1945 wieder. Im gleichen Jahr ging er zur „Jungen Bühne“ nach Hamburg. 1948, als Walter Bison seine erste Spielleiter-Stelle am Staatstheater in Kassel antrat, stand er im 35. Lebensjahr. Bison gehört somit zu jener Generation, die im Dritten Reich das Rüstzeug für das Theaterspielen mitbekam. In einer politischen Wende-Landschaft, in der das Theater sehr schnell gleichgeschaltet war.

Der „Bruch“ nach dem Krieg für diese Generation von Theater-Leuten war total. Ihnen fehlte das Erleben der geistig wilden zwanziger Jahren in Deutschland. Eine völlig neue Ära deutscher Theaterkultur begann im Nachkriegsdeutschland für diese schon „alten“ jungen Menschen. Die zweite Karriere des Walter Bison begann 1949 als Oberspielleiter des Schauspiels am Stadttheater Hildesheim. Drei Jahre später kam er in der gleichen Position an Landestheater Tübingen. Und 1954 begann seine „lange Spielzeit“ in Heilbronn.

Ein festes Ensemble existierte damals noch nicht. Stückverträge waren an der Tagesordnung. Man spielte viel: Operette, Schauspiel – nebst Balletteinlagen, die in die Inszenierungen „geschmuggelt“ wurden. Aber diese Vielfalt gab es nur anfangs; später existierte nur noch das reine Schauspiel auf der Provisoriums-Bühne im Heilbronner Gewerkschaftshaus.

Der Zuschuss fürs Theater betrug im Jahr 1954 noch 50.000 Mark pro Spielzeit. Am Ende von Walter Bisons Amtszeit war er auf 1,5 Millionen angewachsen. Das feste Ensemble wurde 1958 Bestandteil des Provisoriums. Zur Spielzeit 1956/57 ernannte man Bison zum Intendanten. Ein Titel für den vom Erfolg verwöhnten, der Beginn einer Karriere des „Intendanten“ Walter Bison in deutschen Theatern? Mitnichten; er regierte in Heilbronn das Theater als Adenauer die Bundesrepublik.

Ein Mann der großen Ausdauer. Geschäftsführer wurde der „Kaufmann Bison“ mit Beginn der Spielzeit 1968/69 – als das Heilbronner Theater die Rechtsform einer „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ erhalten hatte. – Walter Bison, der Regisseur inszenierte 160 Stücke und spielte in über 80 Inszenierungen tragende Rollen – zumeist in eigener Rolle. Seine letzte Hauptrolle in Heilbronn: der Schriftstellern und Nobelpreisträger Wolfgang Schwitter in Friedrich Dürrenmatt „Der Meteor“. Ein Stück mit dem Schlusswort „Wann krepiere ich denn endlich?“ – die letzten Worte des Schauspielers Bison auf den Heilbronner Theater-Brettern.

Beherrschende Rollen in der Theater-Literatur stellte Walter Bison mit Vorliebe auf der Bühne dar. Den „König Lear“ Shakespeares, den „Nathan“ Lessings, den Philipp in Schillers „Don Carlos“, den General Harras in Zuckmayers „Des Teufels General“ oder den Kreon – aber in Anouilhs „Antigone“. Und er wagte sich auch an Schillers „Wallenstein“ und Brechts „Puntila“. Bison wollte in seiner Charakterisierungskunst „Menschen“ auf die Bühne stellen.

Ein Mann der Verweigerung war Walter Bison. Eine Studiobühne, hervorgerufen durch eine Privatinitiative in den sechziger Jahren, vom Heilbronner Theater dann übernommen – und das auch nicht ganz freiwillig – existiert zum Ende seiner Amtszeit nicht mehr. Der Intendant wollte sie nicht. Wegen des zu kleinen Ensembles, der miserablen Räumlichkeiten des „Studios“ in der Stadthalle Harmonie.

Kindertheater - dagegen sträubte sich Walter Bison lange. Für ihn war es im Gewerkschaftshaus nicht herstellbar. Aber schließlich spielte sein Heilbronner Theater zweimal pro Spielzeit ein Kinderstück.

Für Walter Bison musste etwas reifen. Dem Prinzipal musste gezeigt werden, dass die neuen Aspekte auch gut für sein Theater sind. Seine Skepsis überwog in den meisten Fällen. Er hatte schließlich schlechte Erfahrungen gemacht. Ihm war von der Stadt Heilbronn ein neues Haus, ein Millionen-Theater-Neubau versprochen worden – jahrzehntelang. Er wollte deshalb die Stätte im Gewerkschaftshaus als Provisorium belassen, um die Notwendigkeit des Neubaus aufzuzeigen.

Aber Stadträte und Bürgermeister kümmerten sich mehrheitlich wenig um den mahnend erhobenen, oft moralisierenden Fingerzeig des Intendanten. Wenn es in der Gartenstraße Heilbronns mit dem „Theaterle“ geht – und dank Bison lief der Laden - , wozu dann in Hetze einen Neubau beschließen. Man zeterte und zankte übers Theater im Heilbronner Gemeinderat mehr als zwanzig Jahre. Und man stritt besonders heftig, als die Bison-Ära schon ins dritte Jahrzehnt ging.


Eine Bilanz der Erfolglosigkeit für den Intendanten? Bison, der beharrlich für das Theater am Berliner Platz – den Grübner-Münter-Entwurf – gestritten hatte, war erfolgreich in seinem Kampf. Aber der „Vierteljahrhundert-Intendant“ Bison konnte in dem Neubau weder inszenieren noch als Schauspieler auftreten – nachdem dieser Bau im Herbst 1982 eingeweiht worden war. Das hat ihm mehr zu schaffen gemacht - als er zugeben wollte.

Zusammen mit seinem Mitstreiter, dem ehemaligen Kulturdezernenten Erwin Fuchs, verabscheute Walter Bison Kompromisse in Fragen des Theaterbaus. Den Heilbronnern wünschte er – falls seine Vorstellung von einem Theaterbau nicht verwirklicht würde – „für die kommenden 100 Jahren kein Theater“. Dabei bot er in seiner täglichen Arbeit ein Theater, das viel umstritten war, aber von treuen Heilbronnern auch geliebt wurde.

Werktreue, ein in der Theater-Experten-Diskussionen überstrapaziertes Wort, gehörte zu seinem alltäglichen Wortschatz; ebenso das aus der Musik entlehnte Wort „Vom Blatt spielen“. Absolutheitsansprüche für die Dramaturgie. Walter Bisons Lieblingsschauspieler und –Intendant Gustaf Gründgens wurde oft zitiert: „Lieber weniger glänzend, aber richtig - als faszinierend und falsch.“

„Ein Theater der Entspannung“ und ein „Theater der Haltung“ – Stichworte, die Bison-Theater inhaltlich umreißen sollten. Walter Bison, der die Figuren in seinem Theater „erregend und natürlich“ herstellen wollte, der mithalf in seinem 26 Heilbronner Jahren an die 500 Inszenierungen anzubieten, war ein Mann mit Standvermögen – lang und durchhaltend.

Walter Bison ist der Intendant des „Heilbronner Theater-Provisoriums“ - und damit ist er einer jener Männer, die in kulturfeindlichen den Theatergedanken am Leben hielten. Eine Arbeit, die vor allem die Heilbronner Kulturpolitik der Nachkriegszeit kennzeichnet. Eine Zeit, die mit seinem Tode nicht abgeschlossen ist. Sie begegnet uns alltäglich. Nicht nur im Erinnern.

Rhein-Neckar-Zeitung, 20. April 1985
Neckar Express, 21. April 1985