Am 14. April 1985 starb Heilbronns Theater-Intendant Walter Bison
Kantiger und hartnäckiger Mensch
mit Standvermögen
Von Jürgen Dieter Ueckert
Die 26jährige Amtszeit
des Intendanten Walter Bison am Heilbronner Theater war in der
Spielzeit 1979/80 zu Ende gegangen. Der Intendantenwechsel von Bison zu
Klaus Wagner wurde im August 1980 vollzogen – nicht gerade
formvollendet. Am 14. April 1985, knapp fünf Jahre nach dem Amtswechsel,
starb Walter Bison. Mit ihm verließ ein Mann die „Stadt der
Krämerseelen“, der nahezu drei Jahrzehnte Theater-Leben und -Geschehen
mitgeprägt und mitentscheiden hatte.
Die Stadt des Kleistschen Käthchens
verliert einen Theater-Intendanten, vom dem immer im Zusammenhang mit
dem Wörtchen „Provisorium“ gesprochen wurde. Walter Bison, ein Intendant
eines Theaterzustandes, den niemand wollte, aber den die Stadtväter,
-mütter und -bürger ertragen und geduldet hatten. Das Heilbronner
Theater – ein Institut, so der neue Intendant Klaus Wagner, das in der
Provisoriums-Zeit nur nötig gehabt habe, „zu funktionieren, um geduldet
zu sein“.
„Der talentvolle junge Lübecker“ – so hatte einst das Wochenmagazin Der Spiegel
in seiner Nummer 35 des ersten Jahrgangs anno 1947 lobend über Walter
Bison in einer Theaterkritik geschrieben. In jenem Jahr zählte der am
25. Juli 1913 in Düsseldorf geborene Walter Bison allerdings schon 34
Jahre.
In Lübeck war der Sohn eines
Oberingenieurs ausgewachsen. 1932 hatte er dort sein Abitur bestanden,
absolvierte danach eine dreijährige Lehre als Kaufmann, nahm nebenher
noch Schauspielunterricht und hatte im Frühjahr 1935 sowohl die
kaufmännische als auch die Schauspieler-Abschlussprüfung bestanden. Eine
Verknüpfung von Geschäft und Kunst, die vor allem wieder in der
Heilbronner Zeit von Bison mit Liebe gepflegt werden sollte.
Das erste Engagement
als Schauspieler führte ihn ans Grenzlandtheater Flensburg. Über
Stralsund und Görlitz kam er 1937 ans Staatstheater in Danzig. Ab 1940
kämpfte er als Soldat im Zeiten Weltkrieg. Im Herbst 1945 konnte er
wieder in seine Heimat zurückkehren. Auf den Brettern des Stadttheaters
Lübeck spielte Bison ab Oktober 1945 wieder. Im gleichen Jahr ging er
zur „Jungen Bühne“ nach Hamburg. 1948, als Walter Bison seine erste
Spielleiter-Stelle am Staatstheater in Kassel antrat, stand er im 35.
Lebensjahr. Bison gehört somit zu jener Generation, die im Dritten Reich
das Rüstzeug für das Theaterspielen mitbekam. In einer politischen
Wende-Landschaft, in der das Theater sehr schnell gleichgeschaltet war.
Der „Bruch“
nach dem Krieg für diese Generation von Theater-Leuten war total. Ihnen
fehlte das Erleben der geistig wilden zwanziger Jahren in Deutschland.
Eine völlig neue Ära deutscher Theaterkultur begann im
Nachkriegsdeutschland für diese schon „alten“ jungen Menschen. Die
zweite Karriere des Walter Bison begann 1949 als Oberspielleiter des
Schauspiels am Stadttheater Hildesheim. Drei Jahre später kam er in der
gleichen Position an Landestheater Tübingen. Und 1954 begann seine
„lange Spielzeit“ in Heilbronn.
Ein festes Ensemble
existierte damals noch nicht. Stückverträge waren an der Tagesordnung.
Man spielte viel: Operette, Schauspiel – nebst Balletteinlagen, die in
die Inszenierungen „geschmuggelt“ wurden. Aber diese Vielfalt gab es nur
anfangs; später existierte nur noch das reine Schauspiel auf der
Provisoriums-Bühne im Heilbronner Gewerkschaftshaus.
Der Zuschuss
fürs Theater betrug im Jahr 1954 noch 50.000 Mark pro Spielzeit. Am
Ende von Walter Bisons Amtszeit war er auf 1,5 Millionen angewachsen.
Das feste Ensemble wurde 1958 Bestandteil des Provisoriums. Zur
Spielzeit 1956/57 ernannte man Bison zum Intendanten. Ein Titel für den
vom Erfolg verwöhnten, der Beginn einer Karriere des „Intendanten“
Walter Bison in deutschen Theatern? Mitnichten; er regierte in Heilbronn
das Theater als Adenauer die Bundesrepublik.
Ein Mann der großen Ausdauer.
Geschäftsführer wurde der „Kaufmann Bison“ mit Beginn der Spielzeit
1968/69 – als das Heilbronner Theater die Rechtsform einer „Gesellschaft
mit beschränkter Haftung“ erhalten hatte. – Walter Bison, der Regisseur
inszenierte 160 Stücke und spielte in über 80 Inszenierungen tragende
Rollen – zumeist in eigener Rolle. Seine letzte Hauptrolle in Heilbronn:
der Schriftstellern und Nobelpreisträger Wolfgang Schwitter in
Friedrich Dürrenmatt „Der Meteor“. Ein Stück mit dem Schlusswort „Wann
krepiere ich denn endlich?“ – die letzten Worte des Schauspielers Bison
auf den Heilbronner Theater-Brettern.
Beherrschende Rollen
in der Theater-Literatur stellte Walter Bison mit Vorliebe auf der
Bühne dar. Den „König Lear“ Shakespeares, den „Nathan“ Lessings, den
Philipp in Schillers „Don Carlos“, den General Harras in Zuckmayers „Des
Teufels General“ oder den Kreon – aber in Anouilhs „Antigone“. Und er
wagte sich auch an Schillers „Wallenstein“ und Brechts „Puntila“. Bison
wollte in seiner Charakterisierungskunst „Menschen“ auf die Bühne
stellen.
Ein Mann der Verweigerung war Walter
Bison. Eine Studiobühne, hervorgerufen durch eine Privatinitiative in
den sechziger Jahren, vom Heilbronner Theater dann übernommen – und das
auch nicht ganz freiwillig – existiert zum Ende seiner Amtszeit nicht
mehr. Der Intendant wollte sie nicht. Wegen des zu kleinen Ensembles,
der miserablen Räumlichkeiten des „Studios“ in der Stadthalle Harmonie.
Kindertheater -
dagegen sträubte sich Walter Bison lange. Für ihn war es im
Gewerkschaftshaus nicht herstellbar. Aber schließlich spielte sein
Heilbronner Theater zweimal pro Spielzeit ein Kinderstück.
Für Walter Bison
musste etwas reifen. Dem Prinzipal musste gezeigt werden, dass die
neuen Aspekte auch gut für sein Theater sind. Seine Skepsis überwog in
den meisten Fällen. Er hatte schließlich schlechte Erfahrungen gemacht.
Ihm war von der Stadt Heilbronn ein neues Haus, ein
Millionen-Theater-Neubau versprochen worden – jahrzehntelang. Er wollte
deshalb die Stätte im Gewerkschaftshaus als Provisorium belassen, um die
Notwendigkeit des Neubaus aufzuzeigen.
Aber Stadträte und Bürgermeister
kümmerten sich mehrheitlich wenig um den mahnend erhobenen, oft
moralisierenden Fingerzeig des Intendanten. Wenn es in der Gartenstraße
Heilbronns mit dem „Theaterle“ geht – und dank Bison lief der Laden - ,
wozu dann in Hetze einen Neubau beschließen. Man zeterte und zankte
übers Theater im Heilbronner Gemeinderat mehr als zwanzig Jahre. Und man
stritt besonders heftig, als die Bison-Ära schon ins dritte Jahrzehnt
ging.
Eine Bilanz der Erfolglosigkeit
für den Intendanten? Bison, der beharrlich für das Theater am Berliner
Platz – den Grübner-Münter-Entwurf – gestritten hatte, war erfolgreich
in seinem Kampf. Aber der „Vierteljahrhundert-Intendant“ Bison konnte in
dem Neubau weder inszenieren noch als Schauspieler auftreten – nachdem
dieser Bau im Herbst 1982 eingeweiht worden war. Das hat ihm mehr zu
schaffen gemacht - als er zugeben wollte.
Zusammen mit seinem Mitstreiter,
dem ehemaligen Kulturdezernenten Erwin Fuchs, verabscheute Walter Bison
Kompromisse in Fragen des Theaterbaus. Den Heilbronnern wünschte er –
falls seine Vorstellung von einem Theaterbau nicht verwirklicht würde –
„für die kommenden 100 Jahren kein Theater“. Dabei bot er in seiner
täglichen Arbeit ein Theater, das viel umstritten war, aber von treuen
Heilbronnern auch geliebt wurde.
Werktreue, ein
in der Theater-Experten-Diskussionen überstrapaziertes Wort, gehörte zu
seinem alltäglichen Wortschatz; ebenso das aus der Musik entlehnte Wort
„Vom Blatt spielen“. Absolutheitsansprüche für die Dramaturgie. Walter
Bisons Lieblingsschauspieler und –Intendant Gustaf Gründgens wurde oft
zitiert: „Lieber weniger glänzend, aber richtig - als faszinierend und
falsch.“
„Ein Theater der Entspannung“ und ein
„Theater der Haltung“ – Stichworte, die Bison-Theater inhaltlich
umreißen sollten. Walter Bison, der die Figuren in seinem Theater
„erregend und natürlich“ herstellen wollte, der mithalf in seinem 26
Heilbronner Jahren an die 500 Inszenierungen anzubieten, war ein Mann
mit Standvermögen – lang und durchhaltend.
Walter Bison
ist der Intendant des „Heilbronner Theater-Provisoriums“ - und damit
ist er einer jener Männer, die in kulturfeindlichen den Theatergedanken
am Leben hielten. Eine Arbeit, die vor allem die Heilbronner
Kulturpolitik der Nachkriegszeit kennzeichnet. Eine Zeit, die mit seinem
Tode nicht abgeschlossen ist. Sie begegnet uns alltäglich. Nicht nur im
Erinnern.
Rhein-Neckar-Zeitung, 20. April 1985
Neckar Express, 21. April 1985
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