Georg Hahn ist tot, einst Oberspielleiter
am Heilbronner Theater
Ein
Regisseur des Verstandes
Von
Jürgen Dieter Ueckert
Am 8. April 1986 starb Georg Hahn im
Stuttgarter Vorort Heumaden. Der Schauspieler und Regisseur war von 1967 bis
1978 am Heilbronner Theater als Oberspielleiter für rund sechzig Regiearbeiten
verantwortlich - und war neben seiner Ehefrau, der Schauspielerin Rotraut Grauer, auch eine der wesentlichen
Stützen des Theaters im Provisorium des Gewerkschaftshauses - des Intendanten
Walter Bison.
Georg Hahn war ein Theatermann vom
Scheitel bis zur Sohle. Aber er war kein Mann, den das Theater aufgefressen
hatte. Distanz zum wabernden Alltags-Theatergeschehen verschaffte ihm sein
klarer Verstand. Nicht das grummelnde Bauch-Theater war seine Sache, sondern
die Intellektualität, das messerscharfe Aufdecken und Verdeutlichen des
Dichterwortes war ihm oberste Verpflichtung als Regisseur und Schauspieler.
Mit Georg Hahn konnte man herrlich
streiten, lautstark und hart Argumente austauschen - aber nachher bei einem
Viertele in seiner geliebten Heilbronner Gaststätte ,,Zum Goldenen Lamm"
wieder friedlich beieinandersitzen. Georg Hahn - ein weitläufiger Schwabe, der
seine Wurzeln nie vergaß, ja sie sorgsam pflegte - war ein Theatermann, der
seine Grundsätze bewußt in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts des deutschen
Theaters angesiedelt sah.
In Sulzbach an der Murr wurde Georg
Hahn am 5. November 1909 geboren; 1915 eingeschult; Besuch der Volksschule in
Sulzbach, der Realschule in Backnang. Schon in der Schulzeit Mitarbeit an
Theateraufführungen. „Ich hatte einen
sehr musischen Deutschlehrer, dem ich sehr viel verdanke. Ansonsten war meine
Schulzeit weder eine glückliche noch unglückliche Zeit. Sie belastete mich
nicht. Ich war immer mit mir zufrieden, wenn ich versetzt wurde."
Nach dem Einjährigen (heute: mittlere
Reife) zwei Jahre als Volontär in einer Gerberei, danach ein Jahr Volontär als
Kaufmann in einer Schuhfabrik. Danach wieder zur „Penne": 1929 Abschluß
(Hochschulreife) auf der Höheren Handelsschule. Anschließend Schauspielunterricht
in Stuttgart bei Roderich Arndt. 1931 Eleve am Stuttgarter Staatsschauspiel. Im
gleichen Jahr Schauspielprüfung.
1933 bis 1936 Württembergische
Landesbühne Esslingen;1936/37 Staatstheater Stuttgart; 1937/38 Stadttheater
Koblenz; 1938/39 wieder am Staatstheater Stuttgart; 1939/40 Bayerische
Landesbühne München; November 1939 Fronttheater am Pfalztheater Kaiserslautern -
bis zur sogenannten „ Goebbels- Spende“ (Schließung der deutschen Theater);
September 1944 bis zum Ende des Krieges Soldat; amerikanische Gefangenschaft
in Heilbronn. Kurzer Hahn-Kommentar: „Man wurde dabei sehr schlank. “
Ab Oktober 1945 wieder Kaiserslautern;
ab 1954 Stadttheater Ingolstadt; von 1964 bis 1967 kommissarischer Leiter des
Theaters (zuvor Oberspielleiter und Chefdramaturg); ab 1967 Oberspielleiter am
Heilbronner Theater.
Georg Hahn stammt aus einem alten
württembergischen Geschlecht: pietistisch, demokratisch. Erinnerungen an ein Gespräch,
das ich mit Georg Hahn im April 1978 führte. Der Vater war Vermessungsrat. Von
den drei Geschwistern (ein Bruder und zwei Schwestern) ergriff keiner den
Komödianten-Beruf.
Als Georg Hahn zehn Jahre alt war,
stand für ihn der Berufswunsch schon fest. Er wollte zum Theater, ohne Theater
je gesehen zu haben. - „Mein Vater war ein großer Schiller-Verehrer.
Vielleicht erfüllte ich somit seinen heimlichen Wunsch. Auf jeden Fall war es
für mich dann kein leichter Weg, von Sulzbach zum Theater. Aber, nachdem der
Vater auch meinte, daß kein Weg daran vorbeiführe, legte er mir keine Prügel in
den Weg."
Über die Ausbildung und die
Anfängerjahre: „Ich kam mehr von der Dichtung zum Theater, durch das Lesen der
Dramatiker. Aber in der Ausbildung mußten wir die Klassiker studieren.
Geliebt haben wir die Moderne, Wedekind, Hauptmann, Georg Kaiser, Sternheim.
Wenn wir junge Leute Geld hatten, fuhren wir nach Berlin oder München und
schauten uns dort neue Inszenierungen an. Unter den Regisseuren hat mich Fehling
am meisten beeindruckt. Was er in seinen Inszenierungen geschaffen hatte, war
für mich die Erfüllung des Theaters." _
Begonnen hatte Georg Hahn im
Schauspielberuf als jugendlicher Charakterspieler. Einige seiner Rollen:
Gottfried Friedeborn im „Käthchen", Spiegelberg, den Wurm, Orest. - „Ich
war nie rollenbesessen. Am Anfang habe ich natürlich alles gespielt, was ich
spielen mußte. Aber nach sechs oder sieben Jahren sollte sich ein Schauspieler
selber hören, sollte wissen, was er kann oder nicht kann. In diesem Beruf sich
selbst verwirklichen, wie ein Schlagwort heißt, das geht nicht, sondern man
kann sich höchstens in der Rolle selbst verwirklichen. Ratschläge für einen
Schauspieler - die kann man nur andeuten, nicht als Maxime mitgeben, wie es einige
Prominente gern versuchen. “
Als Regisseur hatte sich Georg Hahn
nie beworben. Er wurde mehr von seinen Kollegen dazu gedrängt. Die erste
Regiearbeit leistete er 1939 am Freilichttheater Göppingen, dessen
künstlerische Leitung er innehatte. In Ingolstadt und Kaiserslautern war er
dann fast ausschließlich Regisseur: „Ich inszenierte eigentlich alles. Von mir
bevorzugt wurden moderne Problemstücke, Hauptmann zum Beispiel. Intendanten,
die wußten, was ich wollte, übertrugen mir diese Stücke, andere, mit denen ich
mich weniger verstand, gaben sie mir oft als Strafe. Die Erstaufführungen oder
neuen Stücke gab man mir, weil man das Stück in sicheren Händen haben
wollte."
Zur Inszenierungsarbeit: „Um den
Gipfel einer Arbeit zu erreichen, das kostet Mühe, Schweiß und Tränen. Meine
Schauspieler haben mich oft während der Probenarbeit gehaßt, bei der Premiere
war die Liebe dann wiederhergestellt. Ich teile das Theater in Lehrlings-, Gesellen-
und Meistertheater ein. Wir in Heilbronn sind gezwungen, aus Lehrlingen
Gesellen zu machen, und das ist schon eine ungeheure Aufgabe. Allergisch bin
ich gegen alle Ideologien auf dem Theater. Wir haben die Pflicht, jede Richtung
zur Diskussion zu stellen. Entscheiden soll dann das Publikum. Denkprozesse
können wir nicht vorwegnehmen. Was der Dichter dem Publikum sagen will, soll
gezeigt werden, nicht das, was die Theaterleute während der Proben ins Stück
hinein diskutieren."
Zur Heilbronner Theatersituation
1978: „Als ich 1954 im Deutschhof Freilichttheater spielte, hieß es schon, daß
ein neues Theater gebaut werde. Ich war in dieser Richtung nie ein Optimist. Und
deshalb habe ich auch nichts mehr zum Theater-Neubau zu sagen. Ich hätte
Heilbronn ein neues Theater gewünscht, dann wäre unsere Arbeit eine bessere
geworden. Wir spielen hier im Gewerkschaftshaus in einem Raum, der immer ein
Zimmer ist. Was Regisseur und Bühnenbildner sich da ausknobeln müssen, um wenigstens
einigermaßen glaubhaft zu sein, und unter welchen Bedingungen Schauspieler arbeiten
müssen, ist kaum beschreibbar.“
Jahre hindurch hatte die Freilichtbühne
Neuenstadt am Kocher Georg Hahn als Regisseur verpflichtet. Erfahrungen mit dem
Freilichttheater hat er seit 1937, als er in Hall zum ersten Mal auf der
Treppe stand. Von 1955 bis 1968 war er Stellvertreter von Wilhelm Speidel, dem
unvergessenen Leiter der Freilichtspiele Schwäbisch Hall.
Zu den Freilichtspielen: „Obwohl ich
weiß, daß Freilichttheater grobes Theater ist, macht es mir Freude, wenn Laien
begabt sind, sich mit diesem Ur-Mimus auseinanderzusetzen, die Laien ans
Handwerk heranzuführen."
Georg Hahns einziges Hobby - außer
Reisen, wenn er nicht mit dem Theater beschäftigt war: „Ich bin unglücklich,
wenn man mir zu feierlichen Anlässen keine Bücher schenkt. Lesen, das ist meine
Freizeitbeschäftigung." - Und dem Theater verdankt er, „daß es mich
zwang, jung und lebendig zu bleiben. Jung bleibt man nur, wenn man mit jungen
Leuten zu tun hat."
Einer der Leitsätze von Georg Hahn:
„Ich bin immer unzufrieden mit mir. Ich bewundere die Menschen, die rasch
zufrieden sind." - Vor dem Tod hatte er keine Angst mehr. Er habe ihm zu
oft ins Gesicht gesehen. Nun ist er sanft entschlafen, jener Mann, der in den
sechziger und siebziger Jahren mit seinem großen handwerklichen Können das
Heilbronner Theaterleben aufrechterhielt.
Neckar-Express
Rhein-Neckar-Zeitung
12.
April 1986
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