Samstag, 29. März 2014

Stadttheater Heilbronn - Georg Hahn ist tot, einst Oberspielleiter (1986)



Georg Hahn ist tot, einst Oberspielleiter am Heilbronner Theater

Ein Regisseur des Verstandes

Von Jürgen Dieter Ueckert


Am 8. April 1986 starb Georg Hahn im Stuttgarter Vorort Heumaden. Der Schauspieler und Regisseur war von 1967 bis 1978 am Heilbronner Theater als Oberspielleiter für rund sechzig Regiearbeiten verant­wortlich - und war neben seiner Ehefrau, der Schauspielerin  Rotraut Grauer, auch eine der wesentlichen Stützen des Theaters im Provisorium des Gewerkschaftshauses - des Intendanten Walter Bison.

Georg Hahn war ein Theater­mann vom Scheitel bis zur Sohle. Aber er war kein Mann, den das Theater aufgefressen hatte. Distanz zum wabernden Alltags-Theatergeschehen ver­schaffte ihm sein klarer Ver­stand. Nicht das grummelnde Bauch-Theater war seine Sache, sondern die Intellektualität, das messerscharfe Aufdecken und Verdeutlichen des Dichterwor­tes war ihm oberste Verpflich­tung als Regisseur und Schau­spieler.

Mit Georg Hahn konnte man herrlich streiten, lautstark und hart Argumente austauschen - aber nachher bei einem Viertele in seiner geliebten Heilbronner Gaststätte ,,Zum Goldenen Lamm" wieder friedlich bei­einandersitzen. Georg Hahn - ein weitläufiger Schwabe, der seine Wurzeln nie vergaß, ja sie sorgsam pflegte - war ein Thea­termann, der seine Grundsätze bewußt in den zwanziger Jah­ren dieses Jahrhunderts des deutschen Theaters angesiedelt sah.

In Sulzbach an der Murr wurde Georg Hahn am 5. No­vember 1909 geboren; 1915 eingeschult; Besuch der Volks­schule in Sulzbach, der Real­schule in Backnang. Schon in der Schulzeit Mitarbeit an Theateraufführungen.  „Ich hatte einen sehr musischen Deutschlehrer, dem ich sehr viel verdanke. Ansonsten war meine Schulzeit weder eine glückliche noch unglückliche Zeit. Sie be­lastete mich nicht. Ich war im­mer mit mir zufrieden, wenn ich versetzt wurde."

Nach dem Einjährigen (heute: mittlere Reife) zwei Jahre als Volontär in einer Gerberei, da­nach ein Jahr Volontär als Kauf­mann in einer Schuhfabrik. Da­nach wieder zur „Penne": 1929 Abschluß (Hochschulreife) auf der Höheren Handelsschule. Anschließend Schauspielunter­richt in Stuttgart bei Roderich Arndt. 1931 Eleve am Stuttgar­ter Staatsschauspiel. Im glei­chen Jahr Schauspielprüfung.

1933 bis 1936 Württembergische Landesbühne Esslingen;1936/37 Staatstheater Stuttgart; 1937/38 Stadttheater Koblenz; 1938/39 wieder am Staatsthea­ter Stuttgart; 1939/40 Bayeri­sche Landesbühne München; November 1939 Fronttheater am Pfalztheater Kaiserslautern - bis zur sogenannten „ Goebbels- Spende“ (Schließung der deut­schen Theater); September 1944 bis zum Ende des Krieges Sol­dat; amerikanische Gefangen­schaft in Heilbronn. Kurzer Hahn-Kommentar: „Man wurde dabei sehr schlank. “

Ab Oktober 1945 wieder Kaisers­lautern; ab 1954 Stadttheater In­golstadt; von 1964 bis 1967 kommissarischer Leiter des Theaters (zuvor Oberspielleiter und Chefdramaturg); ab 1967 Oberspielleiter am Heilbronner Theater.

Georg Hahn stammt aus ei­nem alten württembergischen Geschlecht: pietistisch, demo­kratisch. Erinnerungen an ein Gespräch, das ich mit Georg Hahn im April 1978 führte. Der Vater war Vermessungsrat. Von den drei Geschwistern (ein Bruder und zwei Schwestern) ergriff keiner den Komödianten-Beruf.

Als Georg Hahn zehn Jahre alt war, stand für ihn der Berufswunsch schon fest. Er wollte zum Theater, ohne Theater je gesehen zu haben. - „Mein Va­ter war ein großer Schiller-Verehrer. Vielleicht erfüllte ich so­mit seinen heimlichen Wunsch. Auf jeden Fall war es für mich dann kein leichter Weg, von Sulzbach zum Theater. Aber, nachdem der Vater auch meinte, daß kein Weg daran vorbeiführe, legte er mir keine Prügel in den Weg."

Über die Ausbildung und die Anfängerjahre: „Ich kam mehr von der Dichtung zum Theater, durch das Lesen der Dramati­ker. Aber in der Ausbildung mußten wir die Klassiker studie­ren. Geliebt haben wir die Mo­derne, Wedekind, Hauptmann, Georg Kaiser, Sternheim. Wenn wir junge Leute Geld hatten, fuhren wir nach Berlin oder München und schauten uns dort neue Inszenierungen an. Unter den Regisseuren hat mich Feh­ling am meisten beeindruckt. Was er in seinen Inszenierun­gen geschaffen hatte, war für mich die Erfüllung des Thea­ters."   _

Begonnen hatte Georg Hahn im Schauspielberuf als jugendlicher Charakterspieler. Einige seiner Rollen: Gottfried Friede­born im „Käthchen", Spiegel­berg, den Wurm, Orest. - „Ich war nie rollenbesessen. Am An­fang habe ich natürlich alles ge­spielt, was ich spielen mußte. Aber nach sechs oder sieben Jahren sollte sich ein Schau­spieler selber hören, sollte wis­sen, was er kann oder nicht kann. In diesem Beruf sich selbst verwirklichen, wie ein Schlagwort heißt, das geht nicht, sondern man kann sich höchstens in der Rolle selbst verwirklichen. Ratschläge für einen Schauspieler - die kann man nur andeuten, nicht als Maxime mitgeben, wie es ei­nige Prominente gern versu­chen. “

Als Regisseur hatte sich Georg Hahn nie beworben. Er wurde mehr von seinen Kolle­gen dazu gedrängt. Die erste Regiearbeit leistete er 1939 am Freilichttheater Göppingen, dessen künstlerische Leitung er innehatte. In Ingolstadt und Kaiserslautern war er dann fast ausschließlich Regisseur: „Ich inszenierte eigentlich alles. Von mir bevorzugt wurden moderne Problemstücke, Hauptmann zum Beispiel. Intendanten, die wußten, was ich wollte, übertru­gen mir diese Stücke, andere, mit denen ich mich weniger ver­stand, gaben sie mir oft als Strafe. Die Erstaufführungen oder neuen Stücke gab man mir, weil man das Stück in sicheren Händen haben wollte."

Zur Inszenierungsarbeit: „Um den Gipfel einer Arbeit zu errei­chen, das kostet Mühe, Schweiß und Tränen. Meine Schauspie­ler haben mich oft während der Probenarbeit gehaßt, bei der Premiere war die Liebe dann wiederhergestellt. Ich teile das Theater in Lehrlings-, Ge­sellen- und Meistertheater ein. Wir in Heilbronn sind gezwun­gen, aus Lehrlingen Gesellen zu machen, und das ist schon eine ungeheure Aufgabe. Allergisch bin ich gegen alle Ideologien auf dem Theater. Wir haben die Pflicht, jede Richtung zur Dis­kussion zu stellen. Entscheiden soll dann das Publikum. Denk­prozesse können wir nicht vor­wegnehmen. Was der Dichter dem Publikum sagen will, soll gezeigt werden, nicht das, was die Theaterleute während der Pro­ben ins Stück hinein diskutie­ren."

Zur Heilbronner Theatersi­tuation 1978: „Als ich 1954 im Deutschhof Freilichttheater spielte, hieß es schon, daß ein neues Theater gebaut werde. Ich war in dieser Richtung nie ein Optimist. Und deshalb habe ich auch nichts mehr zum Theater-Neubau zu sagen. Ich hätte Heilbronn ein neues Theater gewünscht, dann wäre unsere Arbeit eine bessere geworden. Wir spielen hier im Gewerk­schaftshaus in einem Raum, der immer ein Zimmer ist. Was Re­gisseur und Bühnenbildner sich da ausknobeln müssen, um we­nigstens einigermaßen glaub­haft zu sein, und unter welchen Bedingungen Schauspieler ar­beiten müssen, ist kaum be­schreibbar.“

Jahre hindurch hatte die Frei­lichtbühne Neuenstadt am Kocher Georg Hahn als Regisseur verpflichtet. Erfahrungen mit dem Freilicht­theater hat er seit 1937, als er in Hall zum ersten Mal auf der Treppe stand. Von 1955 bis 1968 war er Stellvertreter von Wil­helm Speidel, dem unvergesse­nen Leiter der Freilichtspiele Schwäbisch Hall.

Zu den Freilicht­spielen: „Obwohl ich weiß, daß Freilichttheater grobes Theater ist, macht es mir Freude, wenn Laien begabt sind, sich mit die­sem Ur-Mimus auseinanderzu­setzen, die Laien ans Handwerk heranzuführen."

Georg Hahns einziges Hobby - außer Reisen, wenn er nicht mit dem Theater beschäftigt war: „Ich bin unglücklich, wenn man mir zu feierlichen Anlässen keine Bücher schenkt. Lesen, das ist meine Freizeitbeschäfti­gung." - Und dem Theater ver­dankt er, „daß es mich zwang, jung und lebendig zu bleiben. Jung bleibt man nur, wenn man mit jungen Leuten zu tun hat."

Einer der Leitsätze von Georg Hahn: „Ich bin immer unzufrie­den mit mir. Ich bewundere die Menschen, die rasch zufrieden sind." - Vor dem Tod hatte er keine Angst mehr. Er habe ihm zu oft ins Gesicht gesehen. Nun ist er sanft entschlafen, jener Mann, der in den sechziger und siebziger Jahren mit seinem großen handwerklichen Können das Heilbronner Theaterleben aufrechterhielt.

Neckar-Express

Rhein-Neckar-Zeitung

12. April 1986

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