Angelika Hart, Schauspielerin am Heilbronner Stadttheater
Sie ließ sich gern nach Heilbronn verführen
Von Jürgen Dieter Ueckert
IM
STERNZEICHEN Waage wurde Angelika Hart am 12. Oktober 1965 geboren. In
Rodewisch im Vogtland – damals noch DDR, „bei einem kleinen zänkischen
Bergvolk“, wie sie heute die Vogtländer zärtlich umschreibt. In der von
Textilindustrie geprägten Landschaft lebte die Tochter eines Lehrers
jedoch nur vier Jahre lang. Dann zog sie mit ihren Eltern nach Leipzig.
KÜNSTLERISCHE
Prägungen gab ihr der Vater mit, der zunächst in einer Amateur
Kabarettgruppe spielte, dann die „Academixer“ in Leipzig gründete – ein
bis heute im Osten Deutschlands bekanntes und berühmtes Kabarett.
Angelika Hart wuchs jedoch nach der Scheidung der Eltern bei ihrer
Mutter auf, einer gelernten Industrieschneiderin, die in Leipzig als
Abteilungsleiterin arbeitete. Sie hat noch zwei Halbgeschwister, die
zehn und zwanzig Jahre jünger als sie sind.
DIE
ERINNERUNG an die Schulzeit ruft bei ihr spontan den Satzhervor: „Ich
war immer eine gute Schülerin.“ Der Freundeskreis war für sie eine
„Quasifamilie“. Gemeinsame Urlaube und Fahrradtouren festigten den
Zusammenhalt. In der kommunistischenDiktatur zog man sich automatisch in
die Privatsphäre zurück – um dem Druck zu entgehen, „was wir zu sagen
und zu denken hatten“. Sie arbeitete im „Pionierkabarett“ mit, sang auch
im Chor – „und ich habe ohne Ende gelesen“. In der Zeit vor dem Abitur,
da „wusste ich schon, was ich mal beruflich machen wollte“.
DIE
BÜHNE war das Ziel. „Ab 15 oder 16 Uhr ging ich schon allein ins
Theater – alles, was geboten wurde, konsumierte ich – ob Oper, Operette,
Schauspiel oder Kabarett.“ Die Prüfung an der Schauspielschule in
Leipzig war für Angelika Hart „der grausigste Tag in meinem Leben“.
Vorher hatte sie sich als „echte Alternative“ zurechtgelegt: „Wenn du in
der Schauspielschule durchfällst, dann studierst du Physik in Dresden.“
Wie die heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel.
VORSPRECHROLLEN
hatte sie aus Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ und Brechts
„Der Gute Mensch von Sezuan“ ausgewählt. Und sie wurde prompt genommen.
Zehn Dozenten hatten zu entscheiden. Das Ergebnis: 10 zu 0 für Angelika
Hart. „Ein gutes Studium war es – keine Studiengebühren, aber 200 Mark
Stipendium.“ Zehn Mark kostete dieMiete, fünf Pfennig das Brötchen, ein
Bier 50 Pfennig und ein Essen 1,20 Mark. „Uns hat es einfach an nichts
gefehlt“, erinnert sich Angelika Hart, die von 1984 an vier Jahre lang
studierte. Erstes Engagement dann in Neustrelitz, einem Dreispartenhaus.
UMBRUCH
lautete in dieser Zeit das politische Stichwort: „Diepersönliche
Karriere als Schauspielerin hat nicht interessiert.“ Angelika Hart
diskutierte 1989/90 an runden Tischen – „wir wollten uns unsere Zukunft
erkämpfen“. Bis den Bürgerbewegten klar wurde, „dass wir lediglich
bundesrepublikanisch werden“. Das Volk hatte sich nämlich für eine
Zukunft entschlossen, so ihre bittere Einsicht, „die nichts mit dem zu
tun hatte, für das wir gekämpft hatten“. Trotzdem erinnert sie sich gern
an jene Zeit, „als man sagen konnte, was man wollte – die Zensur
kapitulieren musste, wenn man Politiker ernst nimmt“.
DIE
FRAGE für Angelika Hart lautete: „Bleibe ich noch Schauspielerin.“ Sie
wohnte in Berlin, gastierte drei Jahre am Cottbusser Staatstheater – und
hatte dort einen „unglaublich tollen Vertrag“. 1991 wurde Tochter Julie
geboren, 1997 Luise. Geheiratet hat sie nicht, „weil der Vater der
Kinder nicht so auf Familie steht“. 1998 ging es dann ans Stadttheater
Baden-Baden. „Ein Kulturschock – von der Kulturmetropole Berlin in die
badische Provinz.“ Am Anfang glaubte sie: „Das hältst du nicht aus.“
Aber sie hat unentwegt gespielt, „tolle Rollen – wie die Piaf“.
NACH
HEILBRONN wurde sie vom Intendanten Klaus Wagner 2002 zum Vorsprechen
eingeladen. „Na, dachte ich mir, da musst du mal hinsemmeln.“Und Wagner
stürzte sich auf sie „wie der Teufel auf die arme Seele“. Nach dem
Vorsprechen sagte er ihr: „Ich muss Sie haben.“ – Angelika Hart lacht
schallend: „Und wenn man so gewollt wird, lässt man sich gern
verführen.“
WECHSEL aber auch in Heilbronn nach kurzer
Zeit: Klaus Wagner und Jürgen Frahm gingen in den Ruhestand, Dr. Martin
Roeder-Zerndt wurde beider Nachfolger als Theater-Manager. Angelika Hart
erinnert sich: „Das war ein emotional schwieriger Wechsel für viele.“
Viele Stars der Wagner-Ära mussten gehen – „dieser Bruch hat belastet“.
Zunächst fremdelte sie mit den neuen Ensemble-Mitgliedern. Aber heute
ist die Crew zusammengewachsen, „wir stehen zu dem, was wir machen“. Wie
bewertet die Schauspielerin den spürbaren Zuschauer-Rückgang: „Es
trifft uns, wenn wir abgelehnt werden – und wir diskutieren viel, wie
das Ruder herumgerissen werden kann.“ Angelika Hart will der Kontroverse
ums Theater und dem daraus resultierenden Weggang des Intendanten im
Jahr 2008 mit einem ganz schlichten Konzept begegnen: „Mit gutem
Theater.“
AN HEILBRONN gefällt ihr, dass ihre Kinder
sich hier wohl fühlen – und vor allem das Mineralwasser, „wegen der
Osteoporose, das nehme ich sogar mit in den Urlaub“. Als
alleinerziehende und berufstätigeMutter wünscht sie sich allerdings mehr
Ganztagsschulen in Baden-Württemberg. Lieblingsrollen, die sie sich
noch für die Bühne wünscht? „Lady Macbeth will ich noch spielen,
ansonsten viele böse, große, starke Frauen.“
echo am Sonntag
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