William steht ganz oben auf der Liste
Von Jürgen Dieter Ueckert
Jung
ist sie - verdammt jung. Ich hatte sie fast zehn Jahre jünger
eingeschätzt als sie in Wirklichkeit ist. Und ich hab es ihr ins Gesicht
gesagt. Und sie hat sich gefreut. Man sage ihr das öfter. Und dann
erzählt sie mir die Geschichte vom Sekt, den sie im Supermarkt schlicht
auf das Laufband stellt - und die Kassiererin will ihren Ausweis sehen.
So strafen die Götter jene, die sie mit einem begnadeten Aussehen
gesegnet haben. Nein - ich muss sagen: so necken sie Yvonne Ruprecht.
Beschenkt
hatten sie die kleine Yvonne mit jungen, liebevollen Eltern und einer
glücklichen Kindheit. Mit einem Geburtsort, der ihr Theaterluft mit dem
ersten Atemzug verschaffte. Wer in Meiningen geboren ist, naja, mehr
brauche ich wohl nicht zu sagen. Und wer dazu noch in Ilmenau
aufgewachsen ist, wo man einen Duft von Literaturluft hinzubekommt, der
darf sich überhaupt nicht beklagen.
Aber in die Wiege
gesungen wurde ihr die Schauspielerei nicht. Sport, Tiere, Malen - und
sich einfach in der Landschaft herumtreiben, so dass andere Kinder nicht
mit ihr spielen durften, darin bestand ihre Hauptbeschäftigung als
Mädchen. Die Welt als Abenteuerspielplatz. Warum diese Diskriminierung?
Der Kontakt mit ihr brachte schmutzige Kleidung mit sich. Saubere
Kleidung, nicht sauberes Denken, war in der DDR bekanntlich oberstes
Staatsziel. Deshalb sollten andere Kinder nicht mit Yvonne spielen.
Mit
14 kam diese kleine Wilde folgerichtig ins Internat nach Schleusingen,
in ein ehemaliges Franziskanerkloster. Lieblingsfächer: Sprachen.
Französisch, Englisch, Russisch - in dieser Reihenfolge. Und als sie
1992 das Abitur in der Tasche hatte, wurde kurz entschlossen in Erfurt
studiert: Germanistik, Kunst und Französisch.
Jetzt
werden Sie fragen: Da war doch noch was? Hab ich auch. - Erlebt hat sie
die sogenannte „Wende“ in einem Trabbi, der auf der Landstraße
liegenblieb. Ein Abschleppwagen wurde gerufen. In dem war ein Autoradio
installiert. Aus diesem bekam Yvonne Ruprecht mit, dass dem real
existierenden Sozialismus das letzte Glöcklein geschlagen hatte - wie
ihrem Trabbi. Ihr Kommentar dazu: „Das eigene Auto ist kaputt, wird auf
ein größeres aufgeladen - und so wird man nach Hause gefahren.“
Pars
pro toto: DDR perdu - ihr Zuhause ist jetzt Deutschland. Das war schon
eine Überraschung für eine, die irgendwo und - wie ganz glücklich und
froh war - in diesem Musterstaat. - Sind wir alle froh und glücklich,
dass das sozialistische Experiment gescheitert ist, sonst säße Yvonne
Ruprecht heute nicht hier.
Da war aber noch was. Die
junge Frau hatte schnell gemerkt, nachdem der Traumberuf Tierärztin sich
ins Wolkenkuckucksheim verflüchtigt hatte, dass sich ihr Interesse
stark auf Kunst und Literatur zubewegt. Wie beim Spielen, war sie hier
auch gleich mitten drin. Bilder, Skulpturen wurden angefertigt - sie
hatte Ausstellungen. Vorbilder waren Picasso, Edward Hopper, die
Surrealisten. In der Literatur Tom Robbins, Ernest Hemingway - und
Friedrich Schiller.
Als Stadtführerin in Weimar, wo
denn sonst, wenn man in Meiningen geboren ist, wollte sie den
Literatur-Touris immer wieder den schwäbischen Olympier näher bringen.
Aber die hatten nur Goethe im Sinn. Noch heute sind ihr Seufzer bei
diesem Thema zu entlocken. Die „Johanna von Orleans“ würde sie gerne mal
spielen. Als ich dann zart mein Lieblingsstück des Schwaben „Kabale und
Liebe“ ins Gespräch werfe, kommt prompt: „Die Luise hab ich in
Heilbronn vorgesprochen“.
Ach ja - und dann gab es da
noch einen Liebling, wie könnte es bei Schauspielern anders sein:
William Shakespeare. Der steht ganz oben auf der Liste bei Yvonne
Ruprecht.Apropos Weimar. In Weimar hat sie gewohnt als sie in Erfurt
studierte. Und später, als sie in Weimar am Theater spielte, hat sie in
Erfurt gewohnt. Und schuld an der Schauspielerei, diesem brotlosen
Gewerbe, ist Al Pacino. Irgendwann nachts las sie in irgendeiner
Hochglanzzeitschrift einen Bericht über diesen amerikanischen
Schauspieler. Da sagte sie sich ganz plötzlich, über Nacht, was der da
erzählt und macht, das will ich auch. Endlich hatte sie ein Ventil für
ihre überschäumende Kraft.
Ganz bürgerlich wieder: Es
folgte eine Bewerbung an der Hochschule für Musik und Theater in
Leipzig, zunächst einige Regiehospitanzen, dann die Aufnahmeprüfung im
September 1993. Zwei Wochen später schon wurde gefochten, Akrobatik
betrieben, Sprecherziehung, Szenen einstudiert - eben alles, was eine
Schauspielschülerin an Tagesarbeit so zu absolvieren hat. Schon als
Studentin war sie in Weimar engagiert. Und im Juli 1997 wurde mit „Viel
Lärm um nichts“ abgeschlossen. Dabei war sie schon für Heilbronn von
Klaus Wagner engagiert, pendelte ab Mai zwischen Weimar und dem
Käthchenstädtchen, um zu proben.
Und jetzt das - der
Kilianpreis. Für die Bianca in Avery Hopwoods „Der Mustergatte“. - „Sie
lebt es voll aus, das Schwanken zwischen Sein und Sein-wollen - zwischen
Hausfrauchen und laszivem Luder“, habe ich lesen dürfen. In einem
anderen Blatt stand: „Ebenso hübsch wie naiv und kurzsichtig ist Yvonne
Ruprecht als Bianca“. Na, sowas auch. Und in einer weiteren Gazette las
ich nach einer Hymne über Thomas Braus: „Ihm kaum nach steht Yvonne
Ruprecht als seine Partnerin beim fiktiven Seitensprung, die vor allem
in den Szenen der Trunkenheit mit Braus zusammen die Akzente setzt, ganz
anders als der agile Braus eher dezent und doch um so wirkungsvoller."
Eine
Zeit lang habe sie keine Kritiken gelesen, sagte sie mir. Man arbeitet
sechs Wochen hart, man arbeitet allein, mit der Truppe, dem Regisseur -
und dann kommt einer und stampft dich mit einem Satz in Grund und Boden.
Eben, Frau Ruprecht: So ungerecht ist die Welt, nicht nur im
Theaterleben. Aber jetzt liest sie doch wieder. Und lässt sich dadurch
ihren Spaß an der Arbeit nicht kaputtmachen.
Dabei
waren die kritischen Aussagen über sie im Mustergatten wirklich
tadellos. Übrigens - mit dem Autor hat sie auch was gemein. Der arme
Kerl ertrank bekanntlich im Vollrausch 1928 an der französischen
Riviera. Sie saß erst vor einiger Zeit im Urlaub an diesem Strand -
nüchtern. Las Hemingways „Der alte Mann und das Meer“. Teilweise mit
Kerzenlicht.
Aber das hat gar nichts mit der Rolle der
Bianca zu tun und der Heilbronner Inszenierung. Dieser Frau in den
50-ern, die ist so um die 30. Bei Kriegsende war sie vielleicht 20 oder
jünger. Eine Frau, die Bombennächte hinter sich hat, vielleicht auch
eine Vergewaltigung, die Verwandte, Freunde und Bekannte sterben sah,
das Flüchlingselend jetzt vor Augen, sieht Häuser in Trümmern noch an
allen Straßenecken - und will leben in dem sich abzeichnenden Wohlstand.
Ein
wenig Glück und Frieden - das sind die kleinen Sehnsüchte in dieser
Zeit. Schlager und Film bedienen diese Wünsche auch prächtig. Konflikte,
die werden recht nüchtern bewältigt, fast unterkühlt - zielgerichtet,
ohne jegliche Psychoanalyse. Stoff für eine Boulevardkomödie? Ja - weil
der Mensch in der Komödie immer auf Messers Schneide tanzt. Der Trick
des Autors: Er lässt seine Figuren nicht herunterfallen. Aber er läßt
sie zur Freude des Publikums leiden, Staub sollen sie fressen - und mit
Lust. Zum Schluss löst sich alles in Wohlgefallen auf.
Auch
das ein Teil des Lebens von Yvonne Ruprecht? Die Rolle fiel ihr gar
nicht so schwer, gestand sie mir. Das sagt eine, die es liebt, dort zu
sein, wo das Leben pulsiert, in Paris , ihrer Lieblingsstadt - oder in
London. Städte, deren Sprachen sie mit Inbrunst einst gelernt hatte - im
Bewußtsein, das Erlernte in ihrem Leben weder in Paris noch in London
jemals anwenden zu können. Aber da kam ja zum Glück der kaputte Trabbi
dazwischen.
Das sagt eine, die aber auch stundenlang am
Meer sitzen kann, weil das Rauschen alles Überflüssige im Kopf
wegspült. Yvonne Ruprecht liebt das Theater, die Unmittelbarkeit zum
Publikum, den Dialog zwischen sprechenden Schauspielern und stummen
Zuhörern, dessen Spannung im Lachen und Applaus sich entlädt. Und wenn
der Vorhang gefallen ist, dann ist alles vorbei, man kann nichts mehr
zurückholen. Ganz anders als bei der Bildhauerei und beim Malen. Das
Theater: Viel vergänglicher - und damit lebendiger.
Danke - Yvonne Ruprecht, und weiterhin Erfolg, Glück, Liebe und Überraschungen.
Heilbronn ist nicht Weimar. Aber Marbach ist ja nicht weit.
Stadttheater Heilbronn
am 16. Juli 2000
Theater-Verein Heilbronn e.V.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen