Samstag, 29. März 2014

Stadttheater Heilbronn - Kilianpreis für Yvonne Ruprecht (2000)

William steht ganz oben auf der Liste

Von Jürgen Dieter Ueckert

Jung ist sie - verdammt jung. Ich hatte sie fast zehn Jahre jünger eingeschätzt als sie in Wirklichkeit ist. Und ich hab es ihr ins Gesicht gesagt. Und sie hat sich gefreut. Man sage ihr das öfter. Und dann erzählt sie mir die Geschichte vom Sekt, den sie im Supermarkt schlicht auf das Laufband stellt - und die Kassiererin will ihren Ausweis sehen. So strafen die Götter jene, die sie mit einem begnadeten Aussehen gesegnet haben. Nein - ich muss sagen: so necken sie Yvonne Ruprecht.

Beschenkt hatten sie die kleine Yvonne mit jungen, liebevollen Eltern und einer glücklichen Kindheit. Mit einem Geburtsort, der ihr Theaterluft mit dem ersten Atemzug verschaffte. Wer in Meiningen geboren ist, naja, mehr brauche ich wohl nicht zu sagen. Und wer dazu noch in Ilmenau aufgewachsen ist, wo man einen Duft von Literaturluft hinzubekommt, der darf sich überhaupt nicht beklagen.

Aber in die Wiege gesungen wurde ihr die Schauspielerei nicht. Sport, Tiere, Malen - und sich einfach in der Landschaft herumtreiben, so dass andere Kinder nicht mit ihr spielen durften, darin bestand ihre Hauptbeschäftigung als Mädchen. Die Welt als Abenteuerspielplatz. Warum diese Diskriminierung? Der Kontakt mit ihr brachte schmutzige Kleidung mit sich. Saubere Kleidung, nicht sauberes Denken, war in der DDR bekanntlich oberstes Staatsziel. Deshalb sollten andere Kinder nicht mit Yvonne spielen.

Mit 14 kam diese kleine Wilde folgerichtig ins Internat nach Schleusingen, in ein ehemaliges Franziskanerkloster. Lieblingsfächer: Sprachen. Französisch, Englisch, Russisch - in dieser Reihenfolge. Und als sie 1992 das Abitur in der Tasche hatte, wurde kurz entschlossen in Erfurt studiert: Germanistik, Kunst und Französisch.

Jetzt werden Sie fragen: Da war doch noch was? Hab ich auch. - Erlebt hat sie die sogenannte „Wende“ in einem Trabbi, der auf der Landstraße liegenblieb. Ein Abschleppwagen wurde gerufen. In dem war ein Autoradio installiert. Aus diesem bekam Yvonne Ruprecht mit, dass dem real existierenden Sozialismus das letzte Glöcklein geschlagen hatte - wie ihrem Trabbi. Ihr Kommentar dazu: „Das eigene Auto ist kaputt, wird auf ein größeres aufgeladen - und so wird man nach Hause gefahren.“

Pars pro toto: DDR perdu - ihr Zuhause ist jetzt Deutschland. Das war schon eine Überraschung für eine, die irgendwo und - wie ganz glücklich und froh war - in diesem Musterstaat. - Sind wir alle froh und glücklich, dass das sozialistische Experiment gescheitert ist, sonst säße Yvonne Ruprecht heute nicht hier.

Da war aber noch was. Die junge Frau hatte schnell gemerkt, nachdem der Traumberuf Tierärztin sich ins Wolkenkuckucksheim verflüchtigt hatte, dass sich ihr Interesse stark auf Kunst und Literatur zubewegt. Wie beim Spielen, war sie hier auch gleich mitten drin. Bilder, Skulpturen wurden angefertigt - sie hatte Ausstellungen. Vorbilder waren Picasso, Edward Hopper, die Surrealisten. In der Literatur Tom Robbins, Ernest Hemingway - und Friedrich Schiller.

Als Stadtführerin in Weimar, wo denn sonst, wenn man in Meiningen geboren ist, wollte sie den Literatur-Touris immer wieder den schwäbischen Olympier näher bringen. Aber die hatten nur Goethe im Sinn. Noch heute sind ihr Seufzer bei diesem Thema zu entlocken. Die „Johanna von Orleans“ würde sie gerne mal spielen. Als ich dann zart mein Lieblingsstück des Schwaben „Kabale und Liebe“ ins Gespräch werfe, kommt prompt: „Die Luise hab ich in Heilbronn vorgesprochen“.

Ach ja - und dann gab es da noch einen Liebling, wie könnte es bei Schauspielern anders sein: William Shakespeare. Der steht ganz oben auf der Liste bei Yvonne Ruprecht.Apropos Weimar. In Weimar hat sie gewohnt als sie in Erfurt studierte. Und später, als sie in Weimar am Theater spielte, hat sie in Erfurt gewohnt. Und schuld an der Schauspielerei, diesem brotlosen Gewerbe, ist Al Pacino. Irgendwann nachts las sie in irgendeiner Hochglanzzeitschrift einen Bericht über diesen amerikanischen Schauspieler. Da sagte sie sich ganz plötzlich, über Nacht, was der da erzählt und macht, das will ich auch. Endlich hatte sie ein Ventil für ihre überschäumende Kraft.

Ganz bürgerlich wieder: Es folgte eine Bewerbung an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig, zunächst einige Regiehospitanzen, dann die Aufnahmeprüfung im September 1993. Zwei Wochen später schon wurde gefochten, Akrobatik betrieben, Sprecherziehung, Szenen einstudiert - eben alles, was eine Schauspielschülerin an Tagesarbeit so zu absolvieren hat. Schon als Studentin war sie in Weimar engagiert. Und im Juli 1997 wurde mit „Viel Lärm um nichts“ abgeschlossen. Dabei war sie schon für Heilbronn von Klaus Wagner engagiert, pendelte ab Mai zwischen Weimar und dem Käthchenstädtchen, um zu proben.

Und jetzt das - der Kilianpreis. Für die Bianca in Avery Hopwoods „Der Mustergatte“. - „Sie lebt es voll aus, das Schwanken zwischen Sein und Sein-wollen - zwischen Hausfrauchen und laszivem Luder“, habe ich lesen dürfen. In einem anderen Blatt stand: „Ebenso hübsch wie naiv und kurzsichtig ist Yvonne Ruprecht als Bianca“. Na, sowas auch. Und in einer weiteren Gazette las ich nach einer Hymne über Thomas Braus: „Ihm kaum nach steht Yvonne Ruprecht als seine Partnerin beim fiktiven Seitensprung, die vor allem in den Szenen der Trunkenheit mit Braus zusammen die Akzente setzt, ganz anders als der agile Braus eher dezent und doch um so wirkungsvoller."

Eine Zeit lang habe sie keine Kritiken gelesen, sagte sie mir. Man arbeitet sechs Wochen hart, man arbeitet allein, mit der Truppe, dem Regisseur - und dann kommt einer und stampft dich mit einem Satz in Grund und Boden. Eben, Frau Ruprecht: So ungerecht ist die Welt, nicht nur im Theaterleben. Aber jetzt liest sie doch wieder. Und lässt sich dadurch ihren Spaß an der Arbeit nicht kaputtmachen.

Dabei waren die kritischen Aussagen über sie im Mustergatten wirklich tadellos. Übrigens - mit dem Autor hat sie auch was gemein. Der arme Kerl ertrank bekanntlich im Vollrausch 1928 an der französischen Riviera. Sie saß erst vor einiger Zeit im Urlaub an diesem Strand - nüchtern. Las Hemingways „Der alte Mann und das Meer“. Teilweise mit Kerzenlicht.

Aber das hat gar nichts mit der Rolle der Bianca zu tun und der Heilbronner Inszenierung. Dieser Frau in den 50-ern, die ist so um die 30. Bei Kriegsende war sie vielleicht 20 oder jünger. Eine Frau, die Bombennächte hinter sich hat, vielleicht auch eine Vergewaltigung, die Verwandte, Freunde und Bekannte sterben sah, das Flüchlingselend jetzt vor Augen, sieht Häuser in Trümmern noch an allen Straßenecken - und will leben in dem sich abzeichnenden Wohlstand.

Ein wenig Glück und Frieden - das sind die kleinen Sehnsüchte in dieser Zeit. Schlager und Film bedienen diese Wünsche auch prächtig. Konflikte, die werden recht nüchtern bewältigt, fast unterkühlt - zielgerichtet, ohne jegliche Psychoanalyse. Stoff für eine Boulevardkomödie? Ja - weil der Mensch in der Komödie immer auf Messers Schneide tanzt. Der Trick des Autors: Er lässt seine Figuren nicht herunterfallen. Aber er läßt sie zur Freude des Publikums leiden, Staub sollen sie fressen - und mit Lust. Zum Schluss löst sich alles in Wohlgefallen auf.

Auch das ein Teil des Lebens von Yvonne Ruprecht? Die Rolle fiel ihr gar nicht so schwer, gestand sie mir. Das sagt eine, die es liebt, dort zu sein, wo das Leben pulsiert, in Paris , ihrer Lieblingsstadt - oder in London. Städte, deren Sprachen sie mit Inbrunst einst gelernt hatte - im Bewußtsein, das Erlernte in ihrem Leben weder in Paris noch in London jemals anwenden zu können. Aber da kam ja zum Glück der kaputte Trabbi dazwischen.

Das sagt eine, die aber auch stundenlang am Meer sitzen kann, weil das Rauschen alles Überflüssige im Kopf wegspült. Yvonne Ruprecht liebt das Theater, die Unmittelbarkeit zum Publikum, den Dialog zwischen sprechenden Schauspielern und stummen Zuhörern, dessen Spannung im Lachen und Applaus sich entlädt. Und wenn der Vorhang gefallen ist, dann ist alles vorbei, man kann nichts mehr zurückholen. Ganz anders als bei der Bildhauerei und beim Malen. Das Theater: Viel vergänglicher - und damit lebendiger.

Danke - Yvonne Ruprecht, und weiterhin Erfolg, Glück, Liebe und Überraschungen.

Heilbronn ist nicht Weimar. Aber Marbach ist ja nicht weit.

Stadttheater Heilbronn
am 16. Juli 2000
Theater-Verein Heilbronn e.V.

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