Für den Intendanten am Heilbronner Stadttheater - Zum 65. Geburtstag
Klaus Wagner beim Freilichttheater -
Feuchtwangen und die Folgen
Von Jürgen Dieter Ueckert
Noch
ein paar wenige Wochen - dann sind es genau 16 Jahre, die ich Klaus
Wagner kenne. Damals war er ein wenig älter als ich heute. Er hatte viel
vor sich. Dennoch schien er mir beim ersten Kennenlernen ganz und gar
nicht zuversichtlich.
Wie seit Jahrzehnten schon in
diesem Landstrich der Schwaben und Franken beginnt Ende des Frühlings
die Saison der Freilichttheater. An irgendeinem dieser vielen
Premierentage war ich in Feuchtwangen, um über die Eröffnung der
Festspiele mit einer Shakespeare-Komödie für den Südfunk zu berichten.
Heinz Kipfer, einst schweizerisch-jugendlicher Held in der ausgehenden
Bison-Aera, war damals in Krefeld engagiert. Und der Krefelder Intendant
- wie es der Zufall so wollte - war auch Freiluft-Intendant in
Feuchtwangen. Klaus Wagner, ein mir damals völlig Unbekannter,
inszenierte bei den Kreuzgangspielen 1979 das Märchen.Bei der
Eröffnungs- und Premierenfeier stellte mir Heinz Kipfer einen der drei
Kandidaten für die letzte Intendanten-Wahlrunde in Heilbronn, eben
diesen Klaus Wagner vor.
49 Bewerber hatten sich als
Bison-Nachfolger in Heilbronn beworben. Eine Findungskommission suchte
unter der Vielzahl fünf Bewerber aus und präsentierte diese dem
Verwaltungsausschuß. Und der hatte drei davon erkoren, aus denen der
Heilbronner Gemeinderat am 28. Juni 1979 einen zum Intendanten wählen
sollte.
Alf André, der Intendant der Badischen
Landesbühne in Bruchsal, war der Mann für die Sozialdemokraten.
Karl-Heinz Büchi, freier Regisseur aus Baden-Baden, in Heilbronn als
Schauspieler und Regisseur wohlbekannt, von Teilen der CDU und FDP
unterstützt, hatte sich durch schiefe Angaben in seinem Lebenslauf im
Vorfeld schon disqualifiziert. Und dann gab es da noch den dritten, wie
Herbert Wehner sagen würde, das „freischwebende Arschloch“ oder in
freundlichem Deutsch die „parteiungebundene Alternative“: Klaus Wagner,
Regisseur aus Eckenroth.
Für mich war schon in
Feuchtwangen klar: Klaus Wagner ist der neue Intendant des Heilbronner
Stadttheaters. Warum ? Die bürgerliche Mehrheit im Heilbronner
Gemeinderat würde niemals einen Kandidaten der SPD wählen. Als ich an
jenem Abend in Feuchtwangen Klaus Wagner zum ersten Mal die Hand
schüttelte, da sagte ich ihm frohgemut, daß er der neue Intendant von
Heilbronn sei. Er schaute mich ungläubig an, lachte verlegen, wiegelte
ab - was sollte er auch anderes tun. Die Wahl war noch nicht gelaufen.
Und da kommt so ein seltsamer Mensch aus dem Provinznest Heilbronn daher
und verkündet ihm seltsame Botschaften - als sei er ein Bruder jener
Dame aus Delphi.
Am Tag der Wahl bestätigte sich meine
kühne Voraussage. Zum Erstaunen der meisten Gemeinderäte wurde im ersten
Wahlgang mit 22 von 39 Stimmen der 49 jährige Klaus Wagner gewählt.
Seine Vorstellungsrede überzeugte. Ohne Zettelwirtschaft wurde
temperamentvoll ein fundiertes Konzept vorgetragen.
Mein
erstes Interview - gleich nach der Wahl - war von bemerkenswerten
Wagner-Sätzen geprägt. Ich hatte Klaus Wagner unter anderem mit einem
Satz eines in Süddeutschland damals bekannten und gefürchteten Kritikers
konfrontiert, der vor der Heilbronner Intendantenwahl schrieb, daß
jeder der drei Bewerber als neuer Stadttheater-Intendant nicht in der
Lage sei, neue Zuschauerströme nach Heilbronn zu bringen, denn der
Gewählte wolle sich in Heilbronn nur festsetzen - aufs Altenteil. Klaus
Wagner antwortete diplomatisch: „Ich kenne den Herrn nicht, aber er
kennt mich bestimmt auch nicht.“
Klaus Wagner, der
expressive Kandidat - der war damals auch ein Mann mit stiller
Sehnsucht. - „Nun bin ich seit 22 Jahren ein Regisseur, der fünf, sechs
Wochen in einer Stadt ist, eine Produktion macht. Deshalb habe ich eine
Breite an Möglichkeiten, wie man es sich nur wünschen könnte - nicht an
Fähigkeit. Ich habe in dieser Spielzeit 1978/79 von einem Volksstück,
über ein Musical, über eine literarische Komödie, über einen Klassiker
nun auch noch ein Kinderstück inszeniert. Bisher habe ich immer gesagt,
ich habe drei Wohnzimmer: das eine ist das Auto, das zweite ist das Café
am Nachmittag und das dritte ist die Wirtschaft am Abend, in der man
sitzt. Dies wird anders werden. Ich freue mich darauf, daß es anders
wird. Nicht weil ich nun seßhaft bin und Unbehagen von mir tue. Ich
werde das meine dazu tun - über Disziplin, über das Wissen um Aufgaben.“
Ein
Stadtrat aus den Reihen der CDU hatte mir nach der Wahl im Heilbronner
Rathaus spöttisch dargelegt: „Die SPD hat in Heilbronn den Theaterbau
durchgedrückt, wir haben ihnen den Intendanten dazu gewählt.“ - Die
diplomatische Reaktion des frischgewählten Intendanten Klaus Wagner:
„Ich werde versuchen, für die SPD genauso ein Intendant zu sein wie für
die CDU. Das Vertrauen ehrt mich.“Und das Programm des neuen
Intendanten? - „Ich meine, heute ist es eine Chance zu sagen, ein
Theater ist zu nichts anderem gut und hat zu nichts anderem gut zu sein,
als die Sache zu präsentieren. Ich finde es natürlich eine gute
Aufgabenstellung, sagen zu können: wir sind nicht gebunden, an nichts.
“Widersprüche!
Ein Mann, der für CDU, SPD, FDP und andere Parteien gleichermaßen
Intendant sein will, aber ohne Bindungen - gibt es den? Nein. Klaus
Wagner wurde gebunden und gefesselt. Er merkte es, er verspürte es - und
die Seile schnitten mit der Zeit Wunden in sein Fleisch. Jedermanns
Lieblings, ist jedermanns Dackel - heißt es im Schwäbischen. Klaus
Wagner war und ist nicht jedermanns Liebling.
Aber
Klaus Wagner war damals erst gewählter Intendant - noch kein
amtierender. Das Heilbronner Theater rückte durch die Wahl ins Blickfeld
der breiten Öffentlichkeit in Baden Württemberg. Mit der kleinen
Provinzbühne im letzten Spieljahr der Aera Walter Bison ging es steil
bergab. Auf dem baden-württembergischen Theatertreffen in Karlsruhe
wurde das Heilbronner Theater schlicht zu einem „Fall“ erklärt. Die
Stuttgarter Zeitung schrieb, diese Bühne sei ein „Fall, der aus aller
Kritisierbarkeit eigentlich herausfällt, ein klinischer Fall sozusagen“.
Und die Südwestpresse kommentierte: „Das Heilbronner Theater blamierte
sich und die Theatertage bis auf die Knochen.“
Walter
Bison war der Intendant des Theaterprovisoriums und damit einer jener
Männer, die den Theatergedanken in der Industrie- und Handelsstadt am
Neckar jahrzehntelang am Leben hielten. Eine harte und undankbare
Arbeit, welche die Heilbronner Kulturpolitik der Nachkriegszeit prägte.
Eine Zeit, die mit seinem Ausscheiden 1980 zu Ende ging.Keine gute
Ausgangsposition für einen Mann wie Klaus Wagner, der nun wieder beim
Punkt Null ansetzen mußte.
Der lange Marsch aus der
Kulturwüste begann. Wagners selbstkritisches und ehrliches Credo für
seine Bison-Nachfolge: „Es geht nicht um etwas Besseres, wo eigentlich
alles anders werden muß.“ - Walter Bison hatte seine Intendantenzeit mit
dem Schwank von Arnold und Bach „Die Spanische Fliege“ beendet.
Anspielungen auf die Krämerseelen, das Spießige in den Heilbronner
Bürgern, ließ Bison verärgert nochmals Revue passieren - vor allem in
den „Stützen der Gesellschaft“ und in Dürrenmatts „Meteor“, seiner
Abschiedsinszenierung. Schlußsatz in der „Spanischen Fliege“ - auf
seinen Nachfolger Klaus Wagner gemünzt: „Du wirst ihm die Sache doch
nicht gleich verübeln.“ - Eine letzte Hoffnung des scheidenden
Intendanten Walter Bison, im neuen Haus am Berliner Platz auch einmal
inszenieren zu dürfen. Es blieb seine Hoffnung.
Klaus
Wagner wollte kein langweiliger Intendant sein, sondern ein Mann mit
Vielfalt und Überraschungen. Das Musical „Cabaret“ hatte er im November
1979 in der Planung. Er wollte die alte Liebe der Heilbronner, das
musikalische Theater, wieder aufleben lassen. Und mit „Anatevka“ in der
nun zweiten Spielstätte, dem ehemaligen Kühlraum der Alte Kelter, wurde
das Versprechen eingelöst. Lustig sein, ohne nachzuspüren, woher die
Lust dazu kommt - bemerkte ich damals zu dieser
Klaus-Wagner-Inszenierung. Sie kann Brüche im Lustigsein darob nicht
begreiflich machen, kann kaum klarmachen, wann der Spaß ins Grauen
umkippt. So bleibt das Grauen oberflächliche Nebensache.
Dominant
ist der Theaterklamauk. Aber der ist so kraftvoll geboten, so naiv und
dreist ansteckend, die Musik mit dem kleinen Orchester so engagiert
gespielt, daß man das zuckrige Bühnenbild vergessen kann, die
Inszenierung als einen Höhepunkt begreifen lernt - nach all den vielen
Jahren Heilbronner Theaterarbeit, in denen nicht nur der Bau
provisorisch war, sondern auch die Herstellungen von Inszenierungen.
In
Heilbronn begann Klaus Wagner mit Theater, das in der Käthchenstadt
auffällig war - an anderen Theaterorten aber schon zum Alltäglichen
gehörte. Wolff von Lindenau als Mireille Matthieu war eine kleine
Sensation - im Theater. „Zieht ein Mann ‘nen Fummel an, schreit das Volk
so laut es kann.“, kommentierte der Theatermarkt-Moderator. Georg
Hensel, der Theaterkritiker meinte einst: „Tragödie und Komödie sind
nichts anderes als Verkehrsunfälle, die zu sehen eine Menge Menschen ins
Theater geht.“
Diese schlichte Weisheit nahm sich
Klaus Wagner zu Herzen - und bot damit dem Heilbronner Publikum lang
Entbehrtes - die Unfälle des Lebens.Außerdem hielt sich Klaus Wagner an
Bert Brechts Satz: „Das Theater muß nämlich durchaus etwas Überflüssiges
bleiben dürfen, was freilich dann bedeutet, daß man für den Überfluß
lebt.“ - In Heilbronn war das Theater immer etwas Überflüssiges.
Vielleicht dank alter Werte, die von pietistischen Grundhaltungen
herrühren. Bretter, die die Welt bedeuten, sind von teuflischer
Vergänglichkeit angefressen. Auf dieser „Bretter-Welt“ liegt eben ein
böser Akzent, ein negativer Ton. Für eine pietistische Denunziation des
Theaters, die garnicht nach Inhalten und Ausführungsform fragt, gibt es
mannigfache Zeugnisse. Zum Beispiel das Bild „Vom breiten und schmalen
Weg“. Beliebter Wandschmuck in pietistischen Häusern, der mir noch als
Schüler im Hohenlohischen begegnete.
Das Moral-Bild
zeigt unter den verhängnisvollen Verlockungen am breiten Weg neben
Ballsaal, Wirtschaftsgarten und Spielhölle auch einen klassizistischen
Theaterbau. In einer pietistischen Stunde wurde zu sittlichen Erbauung
immer wieder von den beiden jungen Mädchen erzählt, die vom Lande nach
Stuttgart gekommen waren und die sich zu einem Besuch des Opernhauses
verführen ließen. Auf dem Wege begegnete ihnen der bekannte Prälat
Bengel, der nur die Frage zu stellen brauchte: „Kinder, seid ihr auch
auf dem rechten Wege?“, und schon machten sie kehrt und schämten sich
ihrer Theaterlust.
Daß im Theater gute Musik zu hören,
daß bildende und sittlich wertvolle Inhalte präsentiert wurden, das
stellten die württembergischen Pietisten nicht in Abrede. „Aber wenn an
der besten Speise Gift klebt, willst Du sie dann kosten?“, fragte der
Stuttgarter Hofprediger Hediger hintergründig. Und von einem anderen
frommen Mann in Württemberg wird berichtet, daß er sich in Gedanken
daran den Theatergenuß versagte, er könnte während der Aufführung
sterben und müsse vor dem Thron Gottes dann bekennen, er komme „aus der
Komödie“.
Vielleicht erklärt sich daraus die manchmal
harte und ignorante Toleranz in Heilbronn dem Theatergeschehen
gegenüber. Man achtet die Beharrlichkeit des Theatermachers, daß da
einer für den „Überfluß“ so intensiv lebt - aber man hält ihn eben für
ein wenig verrückt. Im besten Sinne des Wortes wohlgemerkt. Aus der
Normalwelt verrückt in die Welt des Zerrspiegels, der Illusion, des
Gaukelns, die wir alle gern ein wenig genießen, mit der wir aber
wirklich nichts zu tun haben wollen. Klaus Wagner hat in seinen
Heilbronner Jahren das wohl oder übel erkennen und erleiden müssen. Er
konnte tun und lassen, was immer er wollte.
Einen
Skandal gab es nicht, mochte er auch noch so viele nackte Leiber über
die Bühne jagen. Nur wenn er mehr Geld für sein Theater wollte, das war
dann skandalös.Dabei hatte der Intendant zum fünfjährigen Jubiläum des
Theaterneubaus am Berliner Platz auf meine Frage, inwiefern sein Theater
skandalös sei, denn in Komödie und Tragödie werde der Mensch doch immer
am Rande seiner Existenz gezeigt, mutig geantwortet: „Für Menschen, die
Einordnung und Unterordnung für ein Lebensrezept halten, ist das
Außerordentliche immer ein Skandal. Und daß der Mensch im Theater in
Komödie und Tragödie am Rande seiner Existenz angesiedelt ist, halte ich
für wahr. So verstanden ist Theater skandalös. Und es gehört zu meinem
Konzept für das Theater, die Wahrheit zu zeigen und Menschen am Rande
ihrer Existenz zu zeigen. Leider gelingt es nicht immer zu erfüllen, was
man will.“
Jetzt ist Klaus Wagner 65 geworden. Und
damit ist der Intendant dem Rentenalter nahegekommen. Walter Bison
regierte das Heilbronner Theater insgesamt 26 Jahre lang als er im Jahre
1980 die Geschäfte übergab. Klaus Wagner bringt es bisher „nur“ auf
fünfzehn Jahre. Und die haben erbracht, was einst Gemeinderat und
Stadtväter von ihrem Theater erwarteten und erhofften, als sie Klaus
Wagner kürten: eine Garantie für eine erfolgreiche Theaterarbeit in der
sogenannten „Stadt der Krämerseelen“. Der Intendant hat Wort gehalten.
Ein
Satz gilt ja - immer noch: dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze,
auch den Intendanten nicht. Vielleicht mit einer Einschränkung: Mimen,
die auf einer Filmrolle in vielen kleinen Bildchen verewigt sind, diesen
Mimen flicht die Nachwelt gelegentlich noch Kränze. Aber jenen, die nur
auf der Bühne oder als Regisseure hinter oder vor der Bühne standen ?
Deren Kränze sind größtenteils verwelkt - manchmal sogar zwischen zwei
Buchdeckeln. Wenn jetzt Klaus Wagner zum Geburtstag Glückwünsche
entgegennehmen kann, dann bleibt die Erinnerung in seinem Kopf, in den
Buchstaben der Tageszeitung und dieses Buches, in einem Bild und in
Tönen auf Magnetband eine Zeit lang erhalten. Und dann geht sie den Weg
alles Irdischen. Es wäre ja auch selten komisch, wäre es in diesem Fall
anders.
Wenn ich auf meine Theaterzeit zurückblicke, ja
was bleibt? Wer in Heilbronn theatralische Kunst erleben wollte - so
vor einem viertel Jahrhundert - ja, der erlebte diese Kunst wie jene
Bürger, die vor einhundert Jahren in dieser Stadt Theater erleben
mußten: reichlich provisorisch. Dem ersten richtigen Theaterbau am Ende
der Allee, 1913 erbaut, folgte der zweite knapp siebzig Jahre später.
Und nach dem Krieg gab es 37 Jahre Theater-Provisorium. Das hat sich
geändert: Markenzeichen heute - ein volles Theater und ein Torso als
Theaterbau. Wer vom Norden in die Stadt kommt, dessen erster
Theatereindruck ist eine weiße Wand und ein leerer Schotterplatz. Erst
dann sieht er das Theater. Auch das kann sich ändern. Wenn man nur will.
Und man will ja demnächst auch. Nur nicht mehr zur Intendantenzeit von
Klaus Wagner.
Einem Kind, einem Jugendlichen wie mir -
welche Theatererlebnisse wurden dem vor rund dreißig Jahren in und um
Heilbronn geboten? „Götz von Berlichingen“ in Jagsthausen - ein
absolutes Muß. Man las das Drama ja in der Schule - in verteilten
Rollen. Da konnte und mußte jegliches Spektakel im Burghof nur besser
sein. „Die Bürger von Calais“ oder „Jedermann“ auf den 54 Stufen in
Schwäbisch Hall. Genickstarre vor Erhabenheit und der steilen Treppe.
„Minna von Barnhelm“ und „Die Entführung aus dem Serail“ am Stuttgarter
Staatstheater. Wer hätte das gedacht - erstaunlich, was Theater alles
kann, mußte sich der kleine Provinzler sagen. Und dann das Heilbronner
Bison-Provisorium im Gewerkschaftshaus - als Hausmannskost.
Jetzt,
nachdem ich das Schwabenalter schon lange überschritten habe, Klaus
Wagners erste wilde Erfolgsjahre zunächst kritisch in Zeitung und Funk
begleiten durfte, ist mir das Theater in vielen Teilen fremd geworden.
Ein Freund des Tanztheaters war ich nie. Oper lernte ich mit zunehmendem
Alter schätzen und lieben. Und das Sprechtheater? In diesem Falle bin
ich ein Kind der Zeit, ein Kino-Fan. Zeitgenössische Themen werden im
Medium Film schnell und aktuell umgesetzt. Was uns heute unter den
Nägeln brennt, die aktuellen Themen unserer Zeit, die kann ich morgen im
Filmtheater oder auf einem Bildschirm in dramatische Formen umgesetzt
im Zerrspiegel der Kunst erleben. Wie zu Zeiten Lessings und Schillers
auf dem Theater.
Dennoch, wenn ich an Klaus Wagners
„Nathan“, seinen „Theaterdirektor“ zurückdenke, dann weiß ich, daß es
sich gelohnt hat, mit diesem Mann über viele Jahre hinweg zu streiten,
zu sprechen, Gedanken auszutauschen. Wenn ich heute all die Interviews
der vergangenen fünfzehn Jahre sichte, an die Gesprächsrunden im Radio
mich erinnere, dann fällt mir auch immer wieder jener Satz ein, den mir
Klaus Wagner im September 1980 in einem Brief schrieb: „Soll ich sagen,
daß mir an einem entkrampften Verhältnis zwischen uns liegt?“
Die
Entkrampfung - so stelle ich für mich fest - ist eingetreten. Liegt es
daran, daß ich so wenig noch über das Heilbronner Theater schreibe? Es
kann sein. Würde ich mehr über Kultur und Theater schreiben, wir würden
uns bestimmt fetzen. Aber auf einem anderen Niveau als zu Beginn der
achtziger Jahre. Hoffentlich auf einem besseren. Im ersten großen Streit
zwischen Heilbronner Theaterkritik und dem Theaterchef formulierte
Klaus Wagner pointiert „Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung,
sogar ein Kritiker.“ - Wer wollte das ernsthaft bestreiten. Aber hatten
Heilbronner Kritiker eine eigene Meinung? Und wenn nicht, welche hatten
sie dann?
Was blieb von der Kritik? Beschriebenes,
bedrucktes Papier - alte Tonbänder. Was blieb von den Inszenierungen?
Die Erinnerung in den Köpfen der Zuschauer. Meine Erinnerungen.Und was
bleibt von Klaus Wagner? Die vielen Inszenierungen mit Schauspielern,
die zum Teil erfolgreich an anderen, ja auch größeren Häusern Karriere
gemacht haben. Klaus Wagners Karriere ist der Erfolg seines Heilbronner
Theaters.
Ich bewundere, wie er tagtäglich immer wieder
sich vor den Karren spannt, um das Bedürfnis der Bürger nach Theater zu
erfüllen. Ich hätte ihm gewünscht, daß er seine Intendanten-Laufbahn an
einem Staatstheater beendet. Aber wie heißt es doch in den letzten
Jahren so schön und treffend: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Klaus Wagner wurde zu spät Intendant. Und er war immer zu wenig
Politiker, hatte zuviel Charakter.
Wenn ich an jene Tage im Juni 1979 zurückdenke, dann erinnere ich mich an die Sätze des 100-Jahre-Mannes: Es
gibt einen Augenblick des Glückes, der uns jäh überfällt. Er verdrängt
die Gedanken wie das absolute Licht den Schatten; die Sterne müssen
günstig stehen. Er wußte nicht, wie es werden sollte; er hatte keinen
Plan. Aber es würde gut werden. Es würde glücken, selbst ohne
vergänglichen Ruhm. (Ernst Jünger: Die Zwille)
Danke
für die gute Zeit mit dem Heilbronner Theater, das von der
Persönlichkeit eines Klaus Wagner und seinem furiosen Handeln geprägt
ist.
Geburtstagsgruß für Klaus Wagner, Intendant (1995)
Heilbronn, 24. April 1995
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