Samstag, 29. März 2014

Stadttheater Heilbronn - Portraits - Atef Vogel, Schauspieler (2005)

Atef Vogel verläßt zum Ende des Spielzeit das Stadttheater Heilbronn

Der Star des Heilbronner Theaters
ist ein "Mann mit dem guten Herzen"

Von Jürgen Dieter Ueckert

SEIN NAME gibt vielen Menschen Rätsel auf. Wer sich allein auf die Suche macht, findet im Lexikon „Atef“, die „Göttin aus Amduat“. In der Kombination „Kem-Atef“ weist der Name auf eine „mythologische Schlange“ hin, „die sich unaufhörlich verjüngt“. Und für Atef Vogel stammt sein Vorname schlicht aus dem afghanischen - ist ein sogenannter „erzählender Name“ und heißt übersetzt „Mann mit dem guten Herzen“. Der Grund: Seine Mutter ist Deutsche, der Vater Afghane.

EIN NORDLICHT ist der am 21. April 1977 in Hannover im Sternzeichen „Stier“ geborene Atef Vogel: „Erdverbunden – und manchamal auch ein wenig stur“. Aber “Nordlicht“ blieb er nicht lange. Mit neun Jahren zog er nach Oberhausen ins Ruhrgebiet – wegen der Scheidung der Eltern zu seiner Mutter. Er erinnert sich an eine „ganz normale Schulzeit im Pott“ – bis hin zum Abitur. Und er denkt gerne an seine zweite Heimat Nordrhein-Wetsfalen zurück: „Vor allem an die Mentalität der Menschen – ein offener und herzlicher Menschenschlag.“ Später hat er das oft vermisst, wenn bei anderen erst nach vielem hin und her klar wurde, was eigentlich gemeint war.

SPORT war während seiner Schulzeit ein ganz gewichtiger Teil in seinem Leben. Von 1994 bis 1997 gehörte er dem Kader der deutschen Judo-Nationalmannschaft an – und im Jahre 1996 war er sogar Deutscher Meister im Judo. Aber diese „Extremerfahrung im Leistungssport“ ließ ihn irgendwann fragen: „Ist es denn so wichtig immer besser zu werden?“ Bei vielen älteren Sportkameraden sah er, wie sie an den Folgen ihrer Aufopferung für den Sport körperlich litten. Das Fazit für Atef Vogel lautete: „Das hat für mich keine Zukunft.“

ZUM THEATER kam er, „weil mich ein Mädchen dort stark interessierte“. Schule oder Elternhaus hatten ihm weniger Impulse für das Interesse an dem vermittelt, was für ihn heute „die Bretter sind, die die Welt bedeuten“. Und aus „Lust an der Freude“ war er gleich mittendrin – in der Theaterspiel-Werkstatt des Stadttheaters Oberhausen. Mit richtigen Schauspielern auf der Bühne stehen, diese Leidenschaft packte ihn – und wurde auf der Studiobühne des Theaters Realität. An das Stück damals erinnert er sich auch noch: Theresa Walsers „Brim“. Für den Schüler Atef Vogel eine „tolle Erfahrung“. War er trotz Theater als Hobby ein gute Schüler? „Ich war bestimmt kein braver Schüler, aber ein guter schon.“

VORSPRECHEN an deutschen Schauspielschulen war schon während seiner Zivildienstzeit angesagt. Denn für Atef Vogel stand ohne Zweifel und jegliches Wanken damals fest: „Ich werde Schauspieler.“ An vier Schulen in Deutschland zeigte er sein Können – und in München wurde er genommen. Die acht Semester dauernde Ausbildung absolvierte er an der renommierten „Bayrischen Theaterakademie August Everding“. Hobbies oder ähnliches – zum Ausgleich? „Nein, das Schauspielstudium ist eine sehr intensive Angelegenheit, die bindet auch emotional ein.“ Sport hatte er mehr als genug als tagtägliches Arbeitspensum – dazu Sprechen und Singen lernen, „so dass andere Menschen auch bereit sind, zuzuhören“. Und er musste herausfinden, sich so zu bewegen, dass Zuschauer kapieren, was auf der Bühne gespielt wird.

SPIELEN war schon während des Studiums für Atef Vogel ein Selbstverständlichkeit – ob am Residenztheater oder in Off-Theatern wie dem Münchner Metropol. Neben diesen Bühnenauftritten gehören auch Filme für ihn zur notwendigen Einübung in den Schauspielerberuf. Auf vier Arbeiten, in denen er mitgespielt hat, weist er stolz hin: Matthias Lehmann „Doppelpack“, Vivian Naefe „So schnell Du kannst“, Rainer Matsutani „Schaukampf“ und Miguel Alexandre „Geheimnis des Lebens“. Lieblings-Spielfilme von Atef Vogel? Die Dogma-Filme von Lars von Trier. Lieblingsschauspieler im Kino: Marlon Brando und Isabelle Huppert. Und auf der Bühne? „In der Studentenzeit haben mich Michael Mertens oder Edgar Selge beeindruckt.“

BEI DEN KLASSIKERN der Theaterliteratur nennt er spontan als seine Lieblinge Friedrich Schiller und Gotthold Ephraim Lessing – „und natürlich Heinrich von Kleist, ich bin ein Fan seiner Sprache.“ Hermann Hesse war der Romanautor seiner Jugend, „aber jetzt, wo ich älter werde, kommt er mir oft geschwätzig vor“. Atef Vogel liest gerade „Gefährliche Geliebte“, ein Buch des Japaners Haruki Murakami, in dem ein Mann bereit ist, für seine plötzlich auftauchende geheimnisvolle Jugendliebe seine ganze bisherige Existenz aufzugeben. Essen und Trinken gehören für ihn aber neben Lesen auch zu unverzichtbaren sinnlichen Genüssen. Er kocht selber gern, „vor allem afghanisch“. Und „die selbstgemachten Maultaschen oder den Bärlauch, das habe ich erst hier richtig kennen- und liebengelernt.“

SEHR VIEL GLÜCK habe er mit Heilbronn gehabt. Gereizt hat ihn die neue Theateraera unter dem Intendanten Martin Roeder-Zerndt. Atef Vogel ist glücklich darüber, dass „ich ein völlig uneitles Ensemble vorfand, das sich über alle Probleme konstruktiv auseinandersetzt.“ Mit jedem im Hause könne er offen reden. Intrigen, die Theaterleuten oft nachgesagt werden, habe er in Heilbronn überhaupt nicht feststellen können. Er sei mit seinen Rollen in das Haus „richtig reingewachsen – statt in verkrusteten Hierarchien sich einen Platz zu erobern. Seine Lieblingsrolle: Werther. Das erfolgreiche und vielgelobte Einpersonenstück in den Kammerspielen war eine „Herausforderung“ für ihn – „die Rolle liebe ich, an der arbeite ich mich immer wieder aufs Neue Abend für Abend ab“.

DER STAR im Stadttheater Heilbronn will Atef Vogel nicht sein. Aber er ist es. Die Kritiken für ihn sind nahezu durchweg freundlich bis jubend. „Atef Vogel spielt den Lebkuchenmann so quirlig und aufgedreht, dass man denkt er sein aus Gummi.“ Und beim Werther lautet das dicke Lob „Goethe trifft Vogel – eine zündende Begegnung“ – und danach wird klargestellt: „Atef Vogel durchmisst dieses Land der emotionalen Extreme sicheren Fußes: 75 Minuten höchste Anspannung, kraftraubende Körperlichkeit und das Publikum als einzigen Ansprechpartner.“ Zum Beweis, dass er nicht der Star des Theaters sein kann, führt er seine erste größere Rolle in „Making Babies“ an: „Das wurde von Publikum nicht so gut aufgenommen, es war ein Experiment, das ich gut fand – auch daraus konnte ich lernen.“ Ohnehin wünschte er sich bei der Regie oftmals mehr Mut zum Experiment.

SEINE FANS haben Atef Vogel eine Homepage im Internet eingerichtet. Die Gründe: „Weil er ein besonderes schauspielerisches Talent hat; weil keiner so energiegeladen auf der Bühne tollen kann; weil er neben seinen schauspielerischen Qualitäten auch noch verdammt gut singen und tanzen kann.“ Kennt er die jungen Damen, die einen Fanclub für ihn gegründet haben? „Ja“, antwortet er schon ein wenig stolz, „das sind sehr nette und theaterinteressierte Leute“. Die Berührungsängste zwischen Publikum und neuem Ensemble, die waren für Vogel „von beiden Seiten zunächst stark spürbar“. Aber in diesem Verhältnis habe sich viel verändert, ja „verbessert, denn die Leute sind heute offener und begeisterter als am Anfang“. Eltern und Freundin („eine Fernbeziehung“) waren bei all seinen Premieren in Heilbronn dabei; das hat ihn besonders gefreut.

ZUM ENDE dieser Spielzeit, also Ende Juli, verlässt Atef Vogel aus eigenem Entschluss Heilbronn. „Ich bin noch ein Anfänger im Theater“, begründet er seinen Weggang aus der Käthchenstadt bescheiden, „und ich will mich weiterentwickeln, ich brauche neue Herausforderungen – und dazu werde ich frei arbeiten.“ Was und wie und wo, das verrät er noch nicht. Weg aus der Provinz – zurück in die Kulturstadt München? „Das Wort Provinz finde ich immer schwierig, denn das Publikum kann man oft nicht so recht unterscheiden, ob die nun in Heilbronn sind, in den Kammerspielen in München oder im Deutschen Theater in Berlin.“

echo am Sonntag

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