Atef Vogel verläßt zum Ende des Spielzeit das Stadttheater Heilbronn
Der Star des Heilbronner Theaters
ist ein "Mann mit dem guten Herzen"
Von Jürgen Dieter Ueckert
SEIN
NAME gibt vielen Menschen Rätsel auf. Wer sich allein auf die Suche
macht, findet im Lexikon „Atef“, die „Göttin aus Amduat“. In der
Kombination „Kem-Atef“ weist der Name auf eine „mythologische Schlange“
hin, „die sich unaufhörlich verjüngt“. Und für Atef Vogel stammt sein
Vorname schlicht aus dem afghanischen - ist ein sogenannter „erzählender
Name“ und heißt übersetzt „Mann mit dem guten Herzen“. Der Grund: Seine
Mutter ist Deutsche, der Vater Afghane.
EIN NORDLICHT
ist der am 21. April 1977 in Hannover im Sternzeichen „Stier“ geborene
Atef Vogel: „Erdverbunden – und manchamal auch ein wenig stur“. Aber
“Nordlicht“ blieb er nicht lange. Mit neun Jahren zog er nach Oberhausen
ins Ruhrgebiet – wegen der Scheidung der Eltern zu seiner Mutter. Er
erinnert sich an eine „ganz normale Schulzeit im Pott“ – bis hin zum
Abitur. Und er denkt gerne an seine zweite Heimat Nordrhein-Wetsfalen
zurück: „Vor allem an die Mentalität der Menschen – ein offener und
herzlicher Menschenschlag.“ Später hat er das oft vermisst, wenn bei
anderen erst nach vielem hin und her klar wurde, was eigentlich gemeint
war.
SPORT war während seiner Schulzeit ein ganz
gewichtiger Teil in seinem Leben. Von 1994 bis 1997 gehörte er dem Kader
der deutschen Judo-Nationalmannschaft an – und im Jahre 1996 war er
sogar Deutscher Meister im Judo. Aber diese „Extremerfahrung im
Leistungssport“ ließ ihn irgendwann fragen: „Ist es denn so wichtig
immer besser zu werden?“ Bei vielen älteren Sportkameraden sah er, wie
sie an den Folgen ihrer Aufopferung für den Sport körperlich litten. Das
Fazit für Atef Vogel lautete: „Das hat für mich keine Zukunft.“
ZUM
THEATER kam er, „weil mich ein Mädchen dort stark interessierte“.
Schule oder Elternhaus hatten ihm weniger Impulse für das Interesse an
dem vermittelt, was für ihn heute „die Bretter sind, die die Welt
bedeuten“. Und aus „Lust an der Freude“ war er gleich mittendrin – in
der Theaterspiel-Werkstatt des Stadttheaters Oberhausen. Mit richtigen
Schauspielern auf der Bühne stehen, diese Leidenschaft packte ihn – und
wurde auf der Studiobühne des Theaters Realität. An das Stück damals
erinnert er sich auch noch: Theresa Walsers „Brim“. Für den Schüler Atef
Vogel eine „tolle Erfahrung“. War er trotz Theater als Hobby ein gute
Schüler? „Ich war bestimmt kein braver Schüler, aber ein guter schon.“
VORSPRECHEN
an deutschen Schauspielschulen war schon während seiner Zivildienstzeit
angesagt. Denn für Atef Vogel stand ohne Zweifel und jegliches Wanken
damals fest: „Ich werde Schauspieler.“ An vier Schulen in Deutschland
zeigte er sein Können – und in München wurde er genommen. Die acht
Semester dauernde Ausbildung absolvierte er an der renommierten
„Bayrischen Theaterakademie August Everding“. Hobbies oder ähnliches –
zum Ausgleich? „Nein, das Schauspielstudium ist eine sehr intensive
Angelegenheit, die bindet auch emotional ein.“ Sport hatte er mehr als
genug als tagtägliches Arbeitspensum – dazu Sprechen und Singen lernen,
„so dass andere Menschen auch bereit sind, zuzuhören“. Und er musste
herausfinden, sich so zu bewegen, dass Zuschauer kapieren, was auf der
Bühne gespielt wird.
SPIELEN war schon während des
Studiums für Atef Vogel ein Selbstverständlichkeit – ob am
Residenztheater oder in Off-Theatern wie dem Münchner Metropol. Neben
diesen Bühnenauftritten gehören auch Filme für ihn zur notwendigen
Einübung in den Schauspielerberuf. Auf vier Arbeiten, in denen er
mitgespielt hat, weist er stolz hin: Matthias Lehmann „Doppelpack“,
Vivian Naefe „So schnell Du kannst“, Rainer Matsutani „Schaukampf“ und
Miguel Alexandre „Geheimnis des Lebens“. Lieblings-Spielfilme von Atef
Vogel? Die Dogma-Filme von Lars von Trier. Lieblingsschauspieler im
Kino: Marlon Brando und Isabelle Huppert. Und auf der Bühne? „In der
Studentenzeit haben mich Michael Mertens oder Edgar Selge beeindruckt.“
BEI
DEN KLASSIKERN der Theaterliteratur nennt er spontan als seine
Lieblinge Friedrich Schiller und Gotthold Ephraim Lessing – „und
natürlich Heinrich von Kleist, ich bin ein Fan seiner Sprache.“ Hermann
Hesse war der Romanautor seiner Jugend, „aber jetzt, wo ich älter werde,
kommt er mir oft geschwätzig vor“. Atef Vogel liest gerade „Gefährliche
Geliebte“, ein Buch des Japaners Haruki Murakami, in dem ein Mann
bereit ist, für seine plötzlich auftauchende geheimnisvolle Jugendliebe
seine ganze bisherige Existenz aufzugeben. Essen und Trinken gehören für
ihn aber neben Lesen auch zu unverzichtbaren sinnlichen Genüssen. Er
kocht selber gern, „vor allem afghanisch“. Und „die selbstgemachten
Maultaschen oder den Bärlauch, das habe ich erst hier richtig kennen-
und liebengelernt.“
SEHR VIEL GLÜCK habe er mit
Heilbronn gehabt. Gereizt hat ihn die neue Theateraera unter dem
Intendanten Martin Roeder-Zerndt. Atef Vogel ist glücklich darüber, dass
„ich ein völlig uneitles Ensemble vorfand, das sich über alle Probleme
konstruktiv auseinandersetzt.“ Mit jedem im Hause könne er offen reden.
Intrigen, die Theaterleuten oft nachgesagt werden, habe er in Heilbronn
überhaupt nicht feststellen können. Er sei mit seinen Rollen in das Haus
„richtig reingewachsen – statt in verkrusteten Hierarchien sich einen
Platz zu erobern. Seine Lieblingsrolle: Werther. Das erfolgreiche und
vielgelobte Einpersonenstück in den Kammerspielen war eine
„Herausforderung“ für ihn – „die Rolle liebe ich, an der arbeite ich
mich immer wieder aufs Neue Abend für Abend ab“.
DER
STAR im Stadttheater Heilbronn will Atef Vogel nicht sein. Aber er ist
es. Die Kritiken für ihn sind nahezu durchweg freundlich bis jubend.
„Atef Vogel spielt den Lebkuchenmann so quirlig und aufgedreht, dass man
denkt er sein aus Gummi.“ Und beim Werther lautet das dicke Lob „Goethe
trifft Vogel – eine zündende Begegnung“ – und danach wird klargestellt:
„Atef Vogel durchmisst dieses Land der emotionalen Extreme sicheren
Fußes: 75 Minuten höchste Anspannung, kraftraubende Körperlichkeit und
das Publikum als einzigen Ansprechpartner.“ Zum Beweis, dass er nicht
der Star des Theaters sein kann, führt er seine erste größere Rolle in
„Making Babies“ an: „Das wurde von Publikum nicht so gut aufgenommen, es
war ein Experiment, das ich gut fand – auch daraus konnte ich lernen.“
Ohnehin wünschte er sich bei der Regie oftmals mehr Mut zum Experiment.
SEINE
FANS haben Atef Vogel eine Homepage im Internet eingerichtet. Die
Gründe: „Weil er ein besonderes schauspielerisches Talent hat; weil
keiner so energiegeladen auf der Bühne tollen kann; weil er neben seinen
schauspielerischen Qualitäten auch noch verdammt gut singen und tanzen
kann.“ Kennt er die jungen Damen, die einen Fanclub für ihn gegründet
haben? „Ja“, antwortet er schon ein wenig stolz, „das sind sehr nette
und theaterinteressierte Leute“. Die Berührungsängste zwischen Publikum
und neuem Ensemble, die waren für Vogel „von beiden Seiten zunächst
stark spürbar“. Aber in diesem Verhältnis habe sich viel verändert, ja
„verbessert, denn die Leute sind heute offener und begeisterter als am
Anfang“. Eltern und Freundin („eine Fernbeziehung“) waren bei all seinen
Premieren in Heilbronn dabei; das hat ihn besonders gefreut.
ZUM
ENDE dieser Spielzeit, also Ende Juli, verlässt Atef Vogel aus eigenem
Entschluss Heilbronn. „Ich bin noch ein Anfänger im Theater“, begründet
er seinen Weggang aus der Käthchenstadt bescheiden, „und ich will mich
weiterentwickeln, ich brauche neue Herausforderungen – und dazu werde
ich frei arbeiten.“ Was und wie und wo, das verrät er noch nicht. Weg
aus der Provinz – zurück in die Kulturstadt München? „Das Wort Provinz
finde ich immer schwierig, denn das Publikum kann man oft nicht so recht
unterscheiden, ob die nun in Heilbronn sind, in den Kammerspielen in
München oder im Deutschen Theater in Berlin.“
echo am Sonntag
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