Benjamin Hille ist Schauspieler am Theater Heilbronn
Vom Gottvater zum fiesen Bruder Franz
Von Jürgen Dieter Ueckert
MIT
16 JAHREN sieht Benjamin Hille zum ersten Mal Schillers "Räuber" im
Theater - in seiner Heimatstadt Bremen. Jetzt spielt er am Stadttheater
Heilbronn eine Hauptrolle in dem Sturm- und Drang-Stück. "Ich glaube,
dass Schiller ein toller Autor auch für die heutige Jugend ist", erzählt
der Schauspieler des Franz Moor begeistert. Schon 1992 war er von der
Räuber-Inszenierung Hans Günther Heymes am Bremer Theater "hin und weg".
DEM
WAAGE-MANN Hille ist das Theater quasi in die Wiege gelegt worden. Die
Mutter, von Beruf Lehrerin, stark an Literatur interessiert - und der
Vater, Deutsch- und Geschichtslehrer am Gymnasium, unterrichtet darüber
hinaus auch "Darstellendes Spiel". Von den drei Kindern, eine ältere
Schwester und ein viel jüngerer Bruder, hat es aber nur Benjamin bisher
zum Theater gezogen. Zunächst als Zuschauer in ganz normale
Vorstellungen, kurze Zeit später aber schon als Aktiver in den
Jugendclub des Bremer Theaters.
DAS ERSTE THEATERSTÜCK,
an das er sich erinnert? "Das Schwein, das nicht dick werden durfte" -
ein Stück, das den damals Sechsjährigen ebenso beeindruckte wie später
eine Inszenierung seines Vaters von Shakespeares "Sommernachtstraum".
Aber Benjamin Hille wollte "unbedingt selber spielen, einfach
mitmachen". Seine erste Rolle: Gottvater in einem Krippenspiel.
DIE
HUMANISTISCHE Ausbildung am "Alten Gymnasium" in Bremen und das
liberale Elternhaus prägen. Er spielt Klavier, komponiert, schreibt
Gedichte und andere Texte _ und spielt während seiner Abiturzeit
("trotzdem ein recht gutes Zeugnis") seine erste richtige Hauptrolle,
den Mackie Messer in Brechts "Dreigroschenoper". Noch während seines
Zivildienstes an einer Behindertenschule spricht er an vier
Schauspielschulen vor. Er kommt überall in die Endrunde - und
entscheidet sich für die "Hochschule für Musik und Theater Hannover".
IN
DER SCHAUSPIELSCHULE wird, was zuvor eruptiv aus Benjamin Hille
herausbrach, mit "Persönlichkeitsentwicklung und -förderung" in Bahnen
gelenkt: "Lernen herauszufinden, was beim Spielen wichtig ist - und
natürlich professionell Sprechen, Singen und sich Bewegen." Mit dem
Diplom in der Tasche "guckten wir Absolventen ein wenig ratlos in die
Landschaft", hatten die Jungschauspieler aus Hannover doch auch gelernt,
dass Staats- und Stadttheater in Deutschland "keine Kulturoasen" mehr
sind, sondern in eisigen Winden politischer Realität heftig geschüttelt
werden.
NACH DEM DIPLOM (eine Rolle in Rainald Götz'
"Jeff Koons", Beurteilung in drei bis vier Vorsprechrollen und eine
schriftliche Arbeit) gab es für das Nordlicht das erste Engagement am
Pfalztheater Kaiserslautern, einem Dreispartenhaus: "Für den Anfang war
das richtig - eine solide, eher konservative Intendanz, unter der man
erst mal lernen konnte, wie man sich am Theater bewegt." Benjamin Hille
lernt den Betrieb von der Pike auf kennen, spielt Klassiker,
zeitgenössische Stücke, macht Life-Hörspiel, Lesungen und Showprogramme.
"Aufgeschlossen sind die Menschen", die er in Kaiserslautern
kennenlernt. Freundschaften werden geschlossen, die bis heute halten.
Gutes Essen und ein Gläschen Wein, das kennzeichnet für ihn außerdem den
Menschenschlag in der Pfalz.
BENJAMIN HILLE, der Mann
mit den tiefblauen Hans-Albers-Augen, bleibt im Süden Deutschlands -
wechselt 2003 ans Theater Heilbronn. Was wusste er von der Stadt am
Neckar? "Bis auf den Theaterskandal um Corpus Christi und den
Theaterfürsten Klaus Wagner hatte ich noch nicht viel von Heilbronn
gehört. Umso mehr gilt es für mich zu entdecken - zum Beispiel auch die
wunderschöne sanfte Hügellandschaft.“
AUFREGEND ist für
Hille und Kollegen die erste Spielzeit unter der neuen Intendanz von
Dr. Martin Roeder-Zerndt. Die Frage, "Wie übernimmt man ein Erbe, bei
dem der Vorgänger 23 Jahre ganz patriarchalisch Theater geprägt hat",
muss beantwortet werden. Bei den ersten Stücken, wie zum Beispiel
"Hysterikon", spürt das neue Ensemble auch Wut beim Publikum. "Wir
hatten das Gefühl, einige Leute werfen uns vor, ihr wollt uns doch nur
provozieren. Dabei haben wir an den Stücken nur ausprobiert, was uns am
Theater interessiert, was uns Spaß macht. Wir mussten natürlich auch
herausfinden, was speziell die Heilbronner wollen - mussten unser
Publikum erst mal richtig kennenlernen." Mit Goethes "Iphigenie", mit
Ibsens "Volksfeind" , "My Fair Lady" und auch Schillers "Räubern" - "mit
diesen Inszenierungen haben wir offenbar den Nerv getroffen".
DAS
KINO liebt Benjamin Hille - und er liest gern. Der 186-Zentimeter-Mann
treibt Sport (Yoga, Fußball, Schwimmen) - aber kommt kaum dazu: "Hier in
Heilbronn muss ich noch mehr spielen als in Kaiserslautern." Wenn er
Zeit dazu hat, dann isst er leidenschaftlich gern. "Gut Kochen, das ist
für mich schon die halbe Miete", erzählt der hagere Jungmime
schmunzelnd. Texte lernt er laut sprechend, beim Herumlaufen in seiner
Wohnung hoch über Heilbronn (mit Blick zum Wartberg) oder am Neckarufer.
Momentan probt er im Musical "Wild Party", eine Revue ein
ausschweifendes Fest auf einem New Yorker Wolkenkratzer. Bei den
"Nacht(s)chatten-Parties" gibt er mit viel Freude an Tanzmusik den DJ.
Außerdem leitet er zusammen mit seinem Kollegen Peter Hausmann den
Jugendclub des Theaters. Momentan arbeiten sie mit den Jugendlichen an
Texten von Daniil Charms, einem russischen Dadaisten.
DIE
"KANAILLE FRANZ" in Schillers "Räuber", landläufig der Fiese, nach
Benjamin Hilles Auffassung der "Zu-Kurz-Gekommene" der beiden Brüder
Moor, ist momentan die Lieblingsrolle des 28-jährigen: "Sie fordert mich
heraus - und macht mir Freude; irrende, verzweifelte, suchende,
kämpfende Menschen zu spielen reizt mich - die lieben Jungs sind mir oft
zu langweilig."
Infokasten:
Benjamin Hille, geboren am 15. Oktober 1976 in Bremen.
Ausbildung: Abitur, 1996 bis 2000 an der Hochschule für Musik und Theater Hannover, Studiengang Schauspiel.
Engagements:
2000 Kultursommer in Gengenbach, Gast am Staatsschauspiel Hannover;
2000 bis 2003 Pfalztheater Kaiserslautern; seit 2003 Stadttheater
Heilbronn.
Vorbild: Für die Bühne nennt Benjamin Hille den
schweizer Schauspieler Jean Pierre Cornu, der nach dem Besuch des
Max-Reinhardt-Seminars in Wien Mitte der siebziger Jahre unter Intendant
Walter Bison im Gewerkschaftshaus seine ersten Rollen spielte. Danach
war er in Tübingen, Bremen und Wien engagiert. Heute ist Cornu
Ensemblemitglied am Züricher Schauspielhaus.
echo am Sonntag
10. März 2005
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