Samstag, 29. März 2014

Stadttheater Heilbronn - Portraits - Benjamin Hille, Schauspieler (2005)

Benjamin Hille ist Schauspieler am Theater Heilbronn

Vom Gottvater zum fiesen Bruder Franz

Von Jürgen Dieter Ueckert

MIT 16 JAHREN sieht Benjamin Hille zum ersten Mal Schillers "Räuber" im Theater - in seiner Heimatstadt Bremen. Jetzt spielt er am Stadttheater Heilbronn eine Hauptrolle in dem Sturm- und Drang-Stück. "Ich glaube, dass Schiller ein toller Autor auch für die heutige Jugend ist", erzählt der Schauspieler des Franz Moor begeistert. Schon 1992 war er von der Räuber-Inszenierung Hans Günther Heymes am Bremer Theater "hin und weg".

DEM WAAGE-MANN Hille ist das Theater quasi in die Wiege gelegt worden. Die Mutter, von Beruf Lehrerin, stark an Literatur interessiert - und der Vater, Deutsch- und Geschichtslehrer am Gymnasium, unterrichtet darüber hinaus auch "Darstellendes Spiel". Von den drei Kindern, eine ältere Schwester und ein viel jüngerer Bruder, hat es aber nur Benjamin bisher zum Theater gezogen. Zunächst als Zuschauer in ganz normale Vorstellungen, kurze Zeit später aber schon als Aktiver in den Jugendclub des Bremer Theaters.

DAS ERSTE THEATERSTÜCK, an das er sich erinnert? "Das Schwein, das nicht dick werden durfte" - ein Stück, das den damals Sechsjährigen ebenso beeindruckte wie später eine Inszenierung seines Vaters von Shakespeares "Sommernachtstraum". Aber Benjamin Hille wollte "unbedingt selber spielen, einfach mitmachen". Seine erste Rolle: Gottvater in einem Krippenspiel.

DIE HUMANISTISCHE Ausbildung am "Alten Gymnasium" in Bremen und das liberale Elternhaus prägen. Er spielt Klavier, komponiert, schreibt Gedichte und andere Texte _ und spielt während seiner Abiturzeit ("trotzdem ein recht gutes Zeugnis") seine erste richtige Hauptrolle, den Mackie Messer in Brechts "Dreigroschenoper". Noch während seines Zivildienstes an einer Behindertenschule spricht er an vier Schauspielschulen vor. Er kommt überall in die Endrunde - und entscheidet sich für die "Hochschule für Musik und Theater Hannover".

IN DER SCHAUSPIELSCHULE wird, was zuvor eruptiv aus Benjamin Hille herausbrach, mit "Persönlichkeitsentwicklung und -förderung" in Bahnen gelenkt: "Lernen herauszufinden, was beim Spielen wichtig ist - und natürlich professionell Sprechen, Singen und sich Bewegen." Mit dem Diplom in der Tasche "guckten wir Absolventen ein wenig ratlos in die Landschaft", hatten die Jungschauspieler aus Hannover doch auch gelernt, dass Staats- und Stadttheater in Deutschland "keine Kulturoasen" mehr sind, sondern in eisigen Winden politischer Realität heftig geschüttelt werden.

NACH DEM DIPLOM (eine Rolle in Rainald Götz' "Jeff Koons", Beurteilung in drei bis vier Vorsprechrollen und eine schriftliche Arbeit) gab es für das Nordlicht das erste Engagement am Pfalztheater Kaiserslautern, einem Dreispartenhaus: "Für den Anfang war das richtig - eine solide, eher konservative Intendanz, unter der man erst mal lernen konnte, wie man sich am Theater bewegt." Benjamin Hille lernt den Betrieb von der Pike auf kennen, spielt Klassiker, zeitgenössische Stücke, macht Life-Hörspiel, Lesungen und Showprogramme. "Aufgeschlossen sind die Menschen", die er in Kaiserslautern kennenlernt. Freundschaften werden geschlossen, die bis heute halten. Gutes Essen und ein Gläschen Wein, das kennzeichnet für ihn außerdem den Menschenschlag in der Pfalz.

BENJAMIN HILLE, der Mann mit den tiefblauen Hans-Albers-Augen, bleibt im Süden Deutschlands - wechselt 2003 ans Theater Heilbronn. Was wusste er von der Stadt am Neckar? "Bis auf den Theaterskandal um Corpus Christi und den Theaterfürsten Klaus Wagner hatte ich noch nicht viel von Heilbronn gehört. Umso mehr gilt es für mich zu entdecken - zum Beispiel auch die wunderschöne sanfte Hügellandschaft.“

AUFREGEND ist für Hille und Kollegen die erste Spielzeit unter der neuen Intendanz von Dr. Martin Roeder-Zerndt. Die Frage, "Wie übernimmt man ein Erbe, bei dem der Vorgänger 23 Jahre ganz patriarchalisch Theater geprägt hat", muss beantwortet werden. Bei den ersten Stücken, wie zum Beispiel "Hysterikon", spürt das neue Ensemble auch Wut beim Publikum. "Wir hatten das Gefühl, einige Leute werfen uns vor, ihr wollt uns doch nur provozieren. Dabei haben wir an den Stücken nur ausprobiert, was uns am Theater interessiert, was uns Spaß macht. Wir mussten natürlich auch herausfinden, was speziell die Heilbronner wollen - mussten unser Publikum erst mal richtig kennenlernen." Mit Goethes "Iphigenie", mit Ibsens "Volksfeind" , "My Fair Lady" und auch Schillers "Räubern" - "mit diesen Inszenierungen haben wir offenbar den Nerv getroffen".

DAS KINO liebt Benjamin Hille - und er liest gern. Der 186-Zentimeter-Mann treibt Sport (Yoga, Fußball, Schwimmen) - aber kommt kaum dazu: "Hier in Heilbronn muss ich noch mehr spielen als in Kaiserslautern." Wenn er Zeit dazu hat, dann isst er leidenschaftlich gern. "Gut Kochen, das ist für mich schon die halbe Miete", erzählt der hagere Jungmime schmunzelnd. Texte lernt er laut sprechend, beim Herumlaufen in seiner Wohnung hoch über Heilbronn (mit Blick zum Wartberg) oder am Neckarufer. Momentan probt er im Musical "Wild Party", eine Revue ein ausschweifendes Fest auf einem New Yorker Wolkenkratzer. Bei den "Nacht(s)chatten-Parties" gibt er mit viel Freude an Tanzmusik den DJ. Außerdem leitet er zusammen mit seinem Kollegen Peter Hausmann den Jugendclub des Theaters. Momentan arbeiten sie mit den Jugendlichen an Texten von Daniil Charms, einem russischen Dadaisten.

DIE "KANAILLE FRANZ" in Schillers "Räuber", landläufig der Fiese, nach Benjamin Hilles Auffassung der "Zu-Kurz-Gekommene" der beiden Brüder Moor, ist momentan die Lieblingsrolle des 28-jährigen: "Sie fordert mich heraus - und macht mir Freude; irrende, verzweifelte, suchende, kämpfende Menschen zu spielen reizt mich - die lieben Jungs sind mir oft zu langweilig."

Infokasten:
Benjamin Hille, geboren am 15. Oktober 1976 in Bremen.
Ausbildung: Abitur, 1996 bis 2000 an der Hochschule für Musik und Theater Hannover, Studiengang Schauspiel.
Engagements: 2000 Kultursommer in Gengenbach, Gast am Staatsschauspiel Hannover; 2000 bis 2003 Pfalztheater Kaiserslautern; seit 2003 Stadttheater Heilbronn.
Vorbild: Für die Bühne nennt Benjamin Hille den schweizer Schauspieler Jean Pierre Cornu, der nach dem Besuch des Max-Reinhardt-Seminars in Wien Mitte der siebziger Jahre unter Intendant Walter Bison im Gewerkschaftshaus seine ersten Rollen spielte. Danach war er in Tübingen, Bremen und Wien engagiert. Heute ist Cornu Ensemblemitglied am Züricher Schauspielhaus.

echo am Sonntag
10. März 2005

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